Blindensitzung – Die Suche nach dem besonderen Bild (Stefan)

Fotos machen heute alle. Selfis mit dem Handy, mit der Digitalkamera, selbst ich bekomme gelegentlich ordentliche hin. Wozu braucht man da noch professionelle Fotografen? Wie wird aus einem Foto ein Bild, das sich einprägt? Ich habe einen der Profis mal gefragt, wie er so fotografiert, wie er an seine Aufnahmen kommt. „Ja, schwer zu sagen, das ergibt sich so.“ Typisch, bloß keinen in die Karten schauen lassen. „Komm doch einfach mal mit und schau mir über die Schulter. Dienstag ist „Blindensitzung“ im Sartory, das ist etwas ganz Besonderes.“ Gesagt, getan. Ich packe meine eigene Kamera ein und mache mich auf den Weg, Achim Rieger mal über die Schulter zu schauen …

Dienstag Nachmittag. Vor dem Sartory wartet Achim auf mich, oder besser, er checkt seine Mails. Was würden wir nur tun, wenn wir keine Handys hätten?

Dann geht’s aber auch gleich los. Der Ostermann-Saal ist ausverkauft und wir beiden Fotografen nehmen unsere Positionen ein. Sagt sich leichter, als es sich tut. Achim geht erst einmal durch den Saal, probiert verschiedene Positionen aus. Perspektivwechsel ist das Stichwort. „Ich will sehen, worauf sich die Menschen einlassen. Dann springen mich die Motive einfach an.“ Komisch, mich springt nichts an.

Auf der Bühne eröffnet Christoph Kuckelkorn die Sitzung und kündigt die erste Gruppe an. Die „Black Fööss“ bringen erst einmal Stimmung in den Saal. Tatsächlich ist „Stimmung“ hier kaum anders als auf „normalen“ Sitzungen. Viele Menschen bleiben zwar sitzen, aber dass sie fröhlich sind, ist nicht zu übersehen. Offenbar muss man den ganzen Zinnober auf der Bühne gar nicht sehen, um in Stimmung zu kommen.

„Ich lass mich gar nicht vom Geschehen auf der Bühne ablenken. Mit Fingerspitzengefühl die Menschen beobachten, darauf kommt es an.“ Joachim erklärt mir gerade, dass mein ständiges Schauen auf die Einstellungen meiner Kamera nicht viel bringt. Hab ich auch vorher gewusst, ich kenne ja meine Bilder.

 

„Gute Bilder sind kein Glück, oft bahnen sie sich an. Ich spüre in einer Situation, wie sich etwas entwickelt, dann versuche ich das einzufangen. Ich erarbeite mir das Bild regelrecht.“ Na gut, also nicht nur die Linse draufhalten, Erarbeiten ist angesagt. Gebe ich mir also Mühe. Ich gehe ein wenig durch den Saal, klar, Achim bleibt in seiner Ecke und beschäftigt sich mit den Einstellungen seiner Kamera.

 

Wicky Junggeburth, der Kölner Prinz von 1993 ( Eimol Prinz zo sin…), hat die Bühne und den Saal fest im Griff. Mit seinem unerschöpflichen Wissen über den Kölner Nachkriegskarneval zeigt er, dass Sitzungen auch ohne laute Musik und Konfetti die Menschen begeistern können.

 

Ich bin durch den Saal gegangen, ich habe gespürt, dass es schon etwas Besonderes ist, blinde Menschen beim Feiern zu erleben. Vieles scheint mir intensiver zu sein. Künstler erzählen oft, dass sie spüren können, ob und wie der Saal mitgeht. Ich kann mir dieses Spüren jetzt etwas besser vorstellen. Und natürlich habe ich auch Fotos gemacht. Aber wohl eher zufällig sind vielleicht auch Bilder entstanden. Das mit dem „Erarbeiten“ der Bilder hat sich mir noch nicht vermittelt. Wundert mich eigentlich nicht, kann aber noch kommen.

Höhepunkt der Blindensitzung ist der Auftritt der Dreigestirne. Schnell noch einen Blick auf die Einstellungen meines „Kollegen“ und schon bin ich mitten drin im Geschehen.

 

Zuerst das „Bühnenprogramm“. Die Großen zeigen, dass auch die Routine mehrerer Sessionswochen dem Dreigestirn Gefühl und Herz nicht verstellt haben. Auch die Kleinen füllen ihre Rollen gut aus und sind mit Engagement und Begeisterung bei ihrem Publikum.

Das Highlight der Sitzung kommt, wenn die Dreigestirne die Bühne verlassen. Anders als sonst ziehen sie mit ihrer Equipe nicht aus dem Saal, sondern gehen mitten hinein. Nun kommt, worauf das Publikum gewartet hat. Ihre Dreigestirne werden getastet und erfühlt. Eng ist es nun im Saal, aber in jeder Hinsicht berührend. Noch nie habe ich gesehen, wie Menschen sich durch bloßes Tasten ein Bild vom Anderen machen.

 

Und die Tollitäten nehmen sich Zeit. Jeder, der möchte, erhält eine Chance, seinen Prinz, seinen Bauer oder seine Jungfrau zu erfühlen. Das sind Bilder, die im Gedächtnis bleiben, wohl für alle Beteiligten. Meine Fotos erscheinen mir dagegen eher etwas schal. Apropos Fotos! Was hat eigentlich mein Kollege Achim getan? Nun, das was er so gut kann: Bilder hat er gemacht:

 

 

 

Bleibt mir nur noch zu sagen: Tolle, eindrucksvolle Sitzung bei den Blinden und mit den Fotos muss ich halt noch üben.

Bildnachweis: © Alle Bilder BKB und Joachim Rieger.