Der Korpsappell – 10 cm größer, egal oder tiefste Depression (Der Wilfried)

Zu Beginn der neuen Session und vor den ersten offiziellen Auftritten fordert jede Gesellschaft der neun Traditionskorps alle ihre Mitglieder auf, beim sogenannten Korpsappell zu erscheinen, samt Musikzug und Tanzpaar.


Hier begutachten die Vorstandsmitglieder den Zustand ihrer „Truppe“. Der Wachkommandant schreitet die angetretene Truppe ab und beäugt akribisch den Zustand der Uniform, ob Weißzeug, Knöpfe, das Lederzeug, die Knabüüs (das Gewehr), die Stiefel oder das Schuhwerk mit Gamaschen und das körperliche Erscheinungsbild des Angetretenen den Vorstellungen der Satzung entsprechen. Hier und da wird an der Uniform rumgezupft, manch strenger Blick ausgetauscht und manch Augenpaar wandert ein wenig schamhaft auf die paar Quadratzentimeter Boden vor sich. Jeder weiß, auf was es ankommt, aber in der Hektik und durch den Anreiseweg bleibt schon einmal etwas im Riss. Alle Kameraden schauen ja zu und demjenigen, der ermahnt wird, dem bleibt nach diesem Procedere nichts anderes übrig, als „Schande“ und „Schmach“ von seinen Kameraden oder den Zuschauern zu ertragen. Apropos Zuschauer. Der Korpsappell ist eine reine vereinsinterne Veranstaltung. Außer ein paar geladenen Gästen und der Presse hat dort normalerweise kein Auswärtiger irgendwas zu suchen.

Tanzpaar der Nippeser
Das Tanzpaar glänzt meistens durch übergroße Nervosität, da es sein erster offizieller Auftritt mit dem neuen Sessionstanz der beginnenden Session ist. Und der muss klappen.
Hunderte Male geübt nach Musik CD`s, aber jetzt vor Publikum das erste Mal live. Nicht zu beneiden die beiden, ebenso wie der Leiter des Musikzuges, da jeder weiß, dass ein Fehltritt, eine schiefe Note oder ein falscher Takt sofort und unmittelbar den Anwesenden auffällt. Und wenn dies alles geklappt hat, fällt eine Zentnerlast eben von deren Schultern, der immense Schweißfluss stoppt und zum ersten Mal an diesem Abend erscheint ein ungezwungenes glückliches Lächeln auf ihren Gesichtern. Ein 6er im Lotto könnte keine größere Befriedigung hervorrufen. Nicht blamiert, es hätt ja immer noch alles joot jejange. Halleluja, halleluja!


Dann spricht der Präses. Über die vergangene Session, über die kommende Session, über Vorhaben, übt ein bisschen Kritik, aber meistens, und das ist gut für die Moral, ist alles super und exorbitant. Man ist halt das beste Traditionskorps in Köln. Geladene Präsidenten anderer Vereine klatschen Beifall, immer mit einem wissenden Lächeln auf dem eigenem Gesicht, man weiß ja, dass das eigene Korps sowieso meilenweit vor den anderen acht Korps rangiert.

Das alles interessiert die Aktiven und Inaktiven, die schon lange im Saal Platz genommen haben und ihre Unterzuckerung und ihren Schweissverlust durch ein oder mehrere Bierchen ausgeglichen haben, nur am Rande. Denn alles wartet nur auf eines: Die Beförderungen!


Wenn der Beförderungsakt beginnt, sitzen die Mitglieder alle, nach außen hin, ziemlich unbeteiligt an ihren Tischen, meistens mit der Gattin oder Freundin. Man tut so, als würde man nur mit dem halben Ohr zuhören, jeder Nerv ist aber im Normalfall bis zum Zerreißen gespannt.
Fällt dann der eigene Name, werden die Augen hollywoodreif aufgerissen, alle zehn Finger wandern ungläubig Richtung Brust und ein erstauntes „Ich??“ entfährt der angespannten Brust. Dann kommt er, der Marsch nach vorne durchs Publikum. Vor der Namensnennung knapp 1,70 m groß und auf´m Weg zur Bühne mutieren gefühlte 10 cm Körpergröße mehr in den zu beförderten glücklichen Körper. Gelächelt wird hier noch nicht, vielmehr hat man den Eindruck, als ob auf´m Weg zur Bühne die alten Dienstränge gehirnmäßig noch mal nachvollzogen werden.
Auf dem Weg zurück und unter dem Applaus der Anwesenden löst sich diese Anspannung sichtlich und man geht durch den Mittelgang. Nein, man geht nicht, man schreitet zufrieden lächelnd dahin. Wird der eigene Name NICHT aufgerufen, schaut man gänzlich unbeteiligt in die Gegend oder sucht ein Gespräch mit dem Nachbarn. Nur nicht anmerken lassen, dass man zutiefst enttäuscht ist. Wer diese Prozedur kennt und weiß, wie es in einem vorgeht, merkt an der Dicke der hervorquellenden Hauptschlagader, der Röte oder Blässe im Gesicht oder am kalten Schweiß auf der Stirn, wie es wirklich in demjenigen aussieht.

Dann gibt es wirklich, aber sehr selten, die Fraktion “ist mir egal“ und die Fraktion „Gott sei Dank nicht“. Es gibt nämlich den wunderschönen Dienstrang Rittmeister und den will jeder behalten. Oder wenn einer aus den Mannschaftsdienstgraden zum Offizier befördert wird, heißt das, andere Uniform oder Uniformteile ändern lassen und aus dem Bereich seiner Freunde während der Auftritte verbannt zu werden. Man kann sich aber bei Fehlverhalten wieder degradieren lassen und schwuppdiwupp ist man wieder in seinem alten geliebten Dienstrang. Habe ich in meiner ganzen Karnevalszeit äußerst selten erlebt.

Nipperser stehen auf Bühne und halten die Vereinsfahne
Neue Mitglieder werden als Hospitanten aufgenommen, andere auf die Plaggen (Vereinsfahne) vereidigt. Hierbei muß der Wachkommandant schon einmal mahnende Worte fallen lassen, da die Vereidigungssätze oftmals beim Publikum sehr nuschelig ankommen.
„Zivilisten“, die dem Verein treu anhängen und viel im Hintergrund arbeiten, werden oftmals als Ehrenmitglied (natürlich gehört dazu das Krätzchen, das Korps- Schiffchen oder -Kappe samt Urkunde) in das Reservekorps aufgenommen. Dadurch soll Ihnen ein Dankeschön ausgesprochen werden und natürlich sollen sie so weiter an den Verein gebunden werden. Eine bewerte Methode, die ich sehr schön und sinnvoll finde.

Tanzgruppe
Unterbrochen von ein paar Darbietungen auf der Bühne und Essen am Tisch kommt es auch vor, daß ein gewichtiger Herr aus dem Vorstand des Festkomitees die Bühne betritt und eine Laudatio auf einen Anwesenden hält. Zuerst weiß keiner wer gemeint ist, bis das Vorstandsmitglied endlich dessen Namen nennt und derjenige mit dem Verdienstorden des FK ausgezeichnet wird. Und zwar für jahrelange Verdienste im Verein oder für seine Arbeitsleistung und sein Verhalten für den Kölner Karneval schlechthin. Diese Verleihung des Verdienstkreuzes muss der eigene Verein oder eine Person beim Festkomitee gegen eine finanzielle Pauschale beantragen. Das FK prüft dies und entscheidet. Diese Auszeichnung ist eine große Ehre und darf als Halskreuz bei jeder offiziellen Veranstaltung getragen werden.


Da der Korpsappell meistens in der ersten Januarwoche an einem Wochentag liegt, ist jeder glücklich früh nach Hause zu kommen. Der glückliche Präses, der glückliche Vorstand samt selig lächelnden Wachkommandanten, der zufriedene Leiter des Musikzuges, das Tanzpaar und alle anderen Mitglieder. Aber am allerglücklichsten sind die mit einer Beförderung.
Kölle Alaaf
Der Wilfried
Gardist der Nippeser Bürgerwehr