Die Tradition im Korps
 (Der Wilfried)

Tradition im Karneval hat viele Gesichter. Auf den Straßen, in den Kneipen, auf den Bühnen und dahinter, in den Gesellschaften und Vereinen, auf meiner Therapeutenliege, eigentlich sieht man Karneval überall in Köln. Mal fröhlich, mal ernst, mal ausgelassen, machmal betrunken, immer aber bunt. Und eines gilt unabänderlich: Jeder Jeck ist anders!

Eine Besonderheit stellen die „Traditionskorps“ im Kölner Karneval dar und dort besonders die „Führungsriege“. Auch das sind „Typen“ im Kölner Karneval und sie sind wichtig, halten sie doch die Tradition hoch und geben sie an die nächste Generation weiter. Sonst funktioniert der Karneval auch nicht, sonst verkommt er zur bloßen Party.

Federbusch, Fangschnur und Korpsgeist

Wilfried Wiltschek, Kölner Karneval 2017

Heute versuche ich mal, einigen dieser Typen etwas mehr Farbe zu geben. Ein kleiner ironisch sarkastischer Ausflug (man möge mir meinen ersten Versuch im Satire-Business verzeihen) in das Getriebe der Traditionsgesellschaften. Ähnlichkeiten mit bekannten Personen sind natürlich absolut ausgeschlossen. Aber ein klitzekleines Körnchen Wahrheit ist immer vorhanden.

Der Präsident

Gab es früher sehr dominante Präsidenten der Traditionskorps hier in Köln, hat sich der Charakterzug des Präses in den letzten Jahren geändert. Der Präsident heute ist mehr der Politiker, der Mediator, derjenige, der Aufgaben verteilt und nicht mehr alleine herrscht. Dafür ist heutzutage keine Zeit mehr. Er braucht Fachleute an seiner Seite, die ihm helfen, zu tragen und ihn unterstützen. Der Präsident ist auch nicht mehr unbedingt der Sitzungsleiter. Er überlässt immer öfter diesen Posten redegewandten Kameraden, oftmals zum Wohlgefallen des Publikums.

Der Präsident besitzt den Winnetou-Blick. Wenn er über seine Leute schaut und seine Lippen sich lautlos bewegen, scheint er zu flüstern: „Dies ist mein Reich.“ Beispiele für den modernen Präsidenten sind z.B. Markus Walpott und Dino Massi. Markus Walpott kennt jeden in seinem Korps mit Namen. Er hat durch seine Bemühungen die Bürgergarde „blau-gold“ beträchtlich im Ansehen angehoben. Dino Massi arbeitet nicht viel in der Öffentlichkeit, weiß aber seine Aufgaben zu verteilen, sehr zum Wohle des eigenen Korps. Er hat z.B. einen eigenen Sitzungsleiter und sitzt wie Artur Tybussek bei den Nippesern im Publikum bei den Sitzungen.

Der Präsident ist vom Äußeren her immer „ne staatse Kerl“. Den Kopf hoch und stolz erhoben, die Hände im Rücken verschränkt. Meistens wippt er rhythmisch im ¾ Takt von der Ferse zum Fußballen auf und ab.

 

Im Gegensatz zum Wachkommandanten vermag er seinen Kopf nur 180 Grad zu drehen. Das reicht aber aus für eine Revier- und Reichsbesichtigung, ohne seinen Astralkörper in Rotation zu schwingen. Dabei registriert er alles um sich herum, speichert dies ab und bringt es im Nachhinein hinter verschlossenen Türen zur Sprache.

Vizepräsident, 1. Vorsitzender, Geschäftsführer

Die graue Eminenz ist der Mann im Hintergrund, der dem Präsidenten zuarbeitet. Von der Körpergröße oder Körperhaltung ist er zumeist kleiner als sein Chef. Er vertritt ihn in Abwesenheit bei offiziellen Anlässen und ist der Meister der Gesellschaftssatzung. Mit einer Fangschnur um die Schulter ausgerüstet und mit viel Blinkblink behaftet, ist diese Position für den Präsidenten und das Korps unverzichtbar.

Er ist das Arbeitstier, das dem Präsidenten zuarbeitet. Wenn nicht nur manchmal dieser traurig wissende und hoffende Blick in seinen dunkel umrandeten Augen wäre. Er scheint nach dem Motto zu leben: Nur noch eine kleine Stufe höher, dann wäre ich der Mann mit der Präsidentenkette.

Der Schatzmeister

Er ist der graue Baron der Finanzen, oft Steuerberater von Beruf oder sonst wie im Finanzwesen tätig. Das körperliche Erscheinungsbild des Schatzmeisters hat zwei Varianten: Typ eins ist adipös, leicht dicklich mit Bluthochdruck. Der zweite Typ ist ausgemergelt mit ausgeprägten Magenfalten um den Mundwinkel. Wie Typ eins ist er mit hohem Blutdruck versehen.

Beide Typen haben immer einen kalten Schweißfilm auf der Haut. Die Hautfarbe des Kopfes liegt zwischen reifer und noch nicht reifer Tomate. Nach außen wirken beide sehr ruhig, aber die flinken Äugelchen sind stets auf der Suche nach nicht gedeckten Finanzen. Der Schatzmeister fragt sich zu jeder Zeit, was dieses und jenes den Verein kostet, ob es sich rechnet und was es einbringt. Er ist also das finanzielle Gewissen des Vereins.

Kleiner Tipp. Wenn man auf der Suche nach einem Kugelschreiber ist, am besten den Schatzmeister fragen. Er hat immer einen Vorrat in der Tasche.

Der Wachsoldat

 

Der gemeine Wachsoldat besticht durch seine Zuverlässigkeit. Er behält zumindest bis nach dem letzten Auftritt seine Kleiderordnung unter Kontrolle. Ausgerüstet mit einer hervorragenden Biernase, die imstande ist aus mehreren Kilometern Entfernung den nächsten Biertresen zu finden, ist er immer da, wenn er benötigt wird. Die Wache ist der Grundstock eines jeden  Korps und beäugt die mit marschierenden Offiziere ständig mit einem hämischen Seitenblick.

Ich kenne Wachsoldaten, die prinzipiell ihre Beförderung in den Offiziersrang ablehnen. Sie fühlen sich in ihrem Korpsteil nur als Nichtoffiziere wohl. So lässig sich der Soldat im Foyer gibt, desto stolzer ist er auf der Bühne. Er ist sich voll und ganz bewusst, dass er das öffentliche Aushängeschild der Gesellschaft ist. Oftmals nach mehreren Auftritten mit einer leichten Bierfahne behaftet, kennt er sämtliche zotigen Lieder der Ahl Säu in- und auswendig. Deshalb ist es nicht ratsam, als Frau im Wachebus mitzufahren. Als Ausnahme gilt, wenn sie als einziges Mädchen zuhause auf dem Land mit mehreren Brüdern aufgewachsen ist.

Einer Hauptmerkmale des Wachesoldaten ist das Ausharren in den Foyers nach Sitzungen. Natürlich nur um sicherzustellen, dass alle gut nach Hause gekommen sind.

Der Offizier

Im Gegensatz zum Wachsoldaten umschwirrt den Offizier meistens ein leichter Sekt- und Weingeruch. Man weiß ja schließlich, wer und was man ist. Oftmals selig und zufrieden lächelnd ist er mit Nonchalance ausgestattet. Der Offizier (der Volksmund sagt hier auch Goldfasan) gibt sich beim Einmarsch alle Mühe, seine Position und seinen Rang im Korps auch nach außen hin zu demonstrieren.

Allein seine Körperhaltung nach dem Anziehen der Offiziersuniform ist bemerkenswert. Vom tagsüber hart arbeitenden, gebeugten Menschen zum stolzen aufrecht gehenden Offizier einer Gesellschaft vergeht maximal die Zeitspanne des Ankleidens. In der Wache muss man sich langsam zum Offizier hocharbeiten. In anderen Korpsteilen wird er beim Eintritt direkt mit einem Offiziersrang bekleidet.

Offiziere sind die Geldgeber im Hintergrund und oft Mitglieder des Corps à la suite oder des Senates. Zur vorgerückten Stunde, in der der Wachsoldat den Biertresen stützt, steht der Offizier leicht schaukelnd und im Hohlkreuz mitten im Feiersaal und ist auf der Pirsch nach Beute, die oftmals freiwillig zu ihm kommt. Den Gedanken, dass dies mit seinem Federbusch, dem Zabel oder den Lederstiefeln zusammenhängt, kommt ihm aber niemals. Nein, natürlich wirkt nur seine Persönlichkeit.

Die Tradition des Literaten

Paradebeispiel ist hier der leider viel zu früh verstorbene Josef Lutter von der Prinzen-Garde. Einige kennen ihn noch als Klütte Jupp. Ein liebenswerter Vulkan, bei dem, wenn er ausbricht, das normaldenkende Menschenkind sofort das Weite suchen sollte. Zwischen absolut chillend und explodierend vergeht meistens nur eine minimale Zeitspanne.

Als Literat muss man das Programm im Griff haben. Kommt ein Auftrittspunkt zu spät, bricht von jetzt auf gleich die Hektik aus. Jupp hatte wie alle anderen Literaten heutzutage in seinem Handy sämtliche wichtigen Telefonnummern gespeichert. Und zwar bis zur Grenze der Speicherkapazität.

Wichtige Telefonsätze wie: „Wo seid ihr?“ „Wann seid ihr da?“ „Wir haben ein Loch, beeilt Euch“ „Seid ihr bekloppt, mir warten und warten auf Euch, macht voran!“ gehören zu den Standardtelefonsätzen dieser Spezies. Ein Literat kennt damals wie heute alle Auftretenden persönlich. Er ist die Ruhe selbst, solange alles funktioniert. Falls nicht, mutiert der Literat von Dr. Jekyll zu Mr. Hyde.

Der Literatenjob ist oftmals undankbar. Läuft die Sitzung hervorragend, klopfen sich die oberen Verantwortlichen auf die Schulter und sagen „hammer doch joot jemaat“.  Falls es nicht so gelaufen ist, „hät de Literat Mist jebaut“. Literat ist ein Knochenjob mit hohem Infarktrisiko.

Der Wachkommandant – Wahrer der Tradition

Der Wachkommandant ist behangen mit mindestens einer Fangschnur an einer Schulter. Er hat von allen Typen den kerzengeradesten Gang, dazu das körperliche Phänomen, wie ein Uhu seinen Kopf um mindestens 360 Grad drehen zu können. Ihm entgeht nichts. Er hat alles im Blick und ist damit das personifizierte Panoramabild.

Weder Offiziere, Wachsoldaten noch Mitglieder des Musikzuges sind vor seinem strengen Blick in punkto Kleiderordnung und Bühnenverhalten sicher. Es spricht bei Zuwiderhandlungen Strafen aus, d.h. er bestimmt wieviel Liter Bier der Straftäter zu zahlen hat. Dieses Strafbier testet er natürlich ausgiebigst selbst. Eine unbedingte Voraussetzung seines Prostens ist, dass er als letzter steht, wenn alle seine Untergebenen schon elfengleich zu Boden gesunken sind.

Wachkommandanten sind harte Typen mit einem weichen Kern. Wenn ein Auftritt hervorragend klappt, kann man manchmal beobachten, wie sie sich verstohlen eine Stolzträne aus den Augenwinkeln wischen. Eine Vermutung ist dagegen nicht gesichert. Die nämlich, dass der Wachkommandant nach solchen Auftritten sich zuhause in voller Uniform mit einer Hand fest um seine Fangschnur ins Bett legt und dann glückselig einschläft.

Soweit erst einmal mein Satire-Versuch. Es fehlen noch viele kleine und große Rädchen, die eine Gesellschaft antreiben. Das Tanzpaar, der Leiter des Musikzuges, die verschiedenen Korpsteile. Aber auch der Elferrat, die eigene Tanzgruppe, die zahlenden Gäste der Sitzungen und viele Typen mehr. Ich hoffe dieser kleine Einblick in das Wesen des Karnevalisten hat euch ein bisschen Spaß gemacht. Wenn ja, folgt Teil 2 in Kürze.