Die Geschichte des Klopapiers – Covid19 (Sarah Weber)

In Zeiten, in denen alle zu Hause bleiben und sich für jeden der Tagesablauf ändert, stehe ich jeden Morgen wie immer auf und begebe mich zur Arbeit. Der Großhandel besteht noch und vor allem Lebensmittel werden benötigt. Doch auch hier hat sich die Welt verändert und es schwingt jede Menge Angst mit. Ich begegne nun nicht nur ein paar Kunden jeden Tag, sondern ein paar Hundert Kunden am Tag – die Menschen beginnen zu Hamstern.

Von Klopapier bis zum Mehl

Es ist für mich ein Phänomen, dass die Menschen kaufen als gäbe es morgen nichts mehr. Als stünde die Welt vor dem Armageddon. Und dabei versteht niemand, dass die Verkäufer im Laden am meisten darunter zu leiden haben. Die Menschenmassen erzeugen Angst, denn auch wir möchten nicht angesteckt werden. Als Führungskraft muss ich nun sehen, wie ich den Tagesablauf steuern kann, wie ich die Mitarbeiter weiter motivieren kann und wie ich zu allem Übel verärgerte Kunden anspreche, die ihr Klopapier nicht mehr bekommen haben. Menschen, die sich tatsächlich prügeln, weil es mittlerweile Beschränkungen bei Toilettenpapier oder Mehl gibt. Ich fühle mich unsicher, denn ich denke, dass man jetzt die Abgründe des menschlichen Wesens sehen kann. Wir sind uns selbst der Nächste, Solidarität Fehlanzeige. Stattdessen müssen sich Kassiererinnen und Kassierer beschimpfen lassen. Ähnliches oder sogar schlimmere Geschichten höre ich von meiner Freundin aus dem Einzelhandel. 

Neben dem „nicht verstehen können“ begleitet mich Angst. Was passiert morgen? Was, wenn wir nur noch heute so viel zu tun haben? Ich stecke in der Zwickmühle, dass ich froh um meinen Job sein kann, ohne Kurzarbeit, aber ich habe Angst vor den Menschen. Angst, angesteckt zu werden oder womöglich jemanden auf der Risikogruppe selbst anzustecken. Meine Mutter gehört zu dieser Gruppe und ich habe sie seit Wochen nicht mehr gesehen. Doch durch meinen täglichen Menschenkontakt bleibt mir keine andere Wahl. Nebenbei bekomme ich mit, wie Existenzen in der Gastronomie vor dem Ende stehen. Und dennoch wahre ich das Gesicht der Führungskraft und versuche positiv zu denken. Ich versuche Mut zu vermitteln.

Welche Bitte habe ich nun?

Meine Worte sollen ein Appell werden, denn ich erbitte mir Solidarität. Ich möchte, dass die Menschen wieder ihre Güte finden und darüber nachdenken, was die Menschen da draußen noch leisten. Jede Kassiererin, jeder Kassierer und vor allem jeder Arzt und Pfleger leisten Großes und verdienen Respekt. Ich möchte nicht mehr mit ansehen müssen, dass Menschen beleidigt werden, nur weil nicht genug Klopapier vorhanden ist. Ich möchte die Menschen nicht mehr hamstern sehen, sondern mit Bedacht einkaufen zu gehen. Ich wünsche mir Rücksicht vor den Risikogruppen. Im Grunde wünsche ich mir: Menschlichkeit!

Es hat mir immer Freude bereitet, Führungskraft zu sein, Mitarbeiter zu motivieren und vor allem Kunden glücklich zu machen. Momentan ist es der schlimmste Alptraum und dennoch habe ich Hoffnung. Ich weiß, dass wir diese Krise meistern können, und ich bin stolz auf meine Mitarbeiter und Kollegen, wie wir dieses schwere Los momentan annehmen. Wir haben zumindest alle noch nicht unser Lächeln verloren und das gibt mir Kraft und Zuversicht. 

Bildnachweis:  Selfie ©Sarah Weber, Regal: ©pixabay.com/Alexandra Koch; toilettenpaper: ©pixabay.com/Markus Distelrath