Frauen im Karneval – ein Rückblick (Nicci)

Meine erste Interviewreihe ist geschrieben und auf AppsolutJeck veröffentlicht worden. Es ging um Frauen im Karneval, was meiner Meinung nach ein sensibles Thema darstellt. Mit sechs Personen habe ich mich unterhalten, alle aus verschiedenen Altersgruppen und alle in verschiedenen Bereichen im Karneval tätig.

Alle wurden von meiner Seite aus neutral befragt, ohne persönlich Stellung zu dem Standpunkt meines Gegenübers zu nehmen. Natürlich ist mein Gefühl zu dem Thema nicht neutral, denn sonst hätte ich mich nicht dazu entschlossen, auf Ursachenforschung zu gehen. Warum herrscht im Jahr 2020 noch so ein massives Ungleichgewicht im Karneval zwischen Männern und Frauen? 

Feminismus fängt ja schon damit an, dass man auf das Dasein als Frau stolz ist. Er geht seinen Weg weiter über die klassische traditionelle Rollenverteilung (im Privaten wie im Job) bis hin zur Gleichberechtigung in allen Bereichen, die man sich vorstellen kann. Alles hat sein Extrem und zu allem habe ich ein mehr oder weniger intensives Empfinden sowie persönliches Interesse. Ich bin ein empathischer Typ und kann die Hintergründe einer Meinung nachvollziehen, ohne derselben Ansicht zu sein. Es schadet nicht, mal den Standpunkt des anderen einzunehmen, bevor man seine Überzeugung durchboxt. (Das gilt nicht für Rassisten!) Somit habe ich mich in meinen Gesprächen neutral verhalten und ausschließlich das Gesagte hinterfragt. Ich wollte keine Streitgespräche führen und auch keine Friedensflagge schwenken. Mein Ziel war es, Meinungen von Karnevalisten über das Thema „Frauen im Karneval“ zu sammeln und dabei herauszufinden, wer sich überhaupt Gedanken dazu macht.

Der Hintergrund

Stellt euch eine imaginäre Waage vor, auf der wir alle aktiven Karnevalisten in Männlein und Weiblein auf jeweils eine Seite aufteilen. Bands, Redner, Gesellschaften und Tanzgruppen. Auf welcher Seite die Waage mehr Gewicht erhält, kann sich jeder denken. Auch in einigen Gesprächen wurden oft Begriffe wie „Männerdomäne“ oder „geringe Frauenquote“ erwähnt. Jetzt habe ich allerdings gelernt, dass man das nicht so einfach pauschalisieren kann. Der organisierte Karneval unterscheidet sich in diesem Punkt von den Künstlern, die im Karneval aktiv sind. Wenn es um die Liebe zum Karneval geht, ist der Unterschied sehr gering. Aber was die Werte im Karneval angeht, ist er massiver als ich dachte.

Also: Wir nehmen das komplette Gewicht von der Waage, teilen dieses in Gesellschaften und Vereine sowie Bands und Redner (= Künstler) auf. (Tanzgruppen zähle ich trotz der kreativen Choreografien mal zu den Vereinen). Auf der Künstlerwaage knallen die Jungs rasant nach unten. (Einer der seltenen Momente, wo Frauen sich mehr Gewicht wünschen würden 😉) Auf der Vereinswaage werden die Männer ebenfalls die eindeutig Schwereren sein. Nur nicht ganz so krass. Das wäre vor zehn Jahren noch viel eindeutiger gewesen und zeigt, dass hier der Frauenanteil wächst. Viele Frauen möchten hier aber auch gar nicht erst ihr Gewicht zur Verfügung stellen, weil sie dieser Sachverhalt schlichtweg nicht stört oder interessiert. Die Motivation, eine Zugehörigkeit im Karneval zu erleben, wird also auf beiden Waagen unterschiedlich empfunden und kann deswegen nicht über einen Kamm geschoren werden.

Der Vereinskarneval

Beim organisierten Karneval generell und in meinen Gesprächen mit Dr. Marie Christine Frank, Markus Ritterbach und Philipp Bertram, fielen sehr oft die Begriffe „Tradition“ und „Brauchtum“. Etwas worauf der Kölsche stolz ist und was er patriotisch bewahrt. Ich fühle mich damit auch heimisch und es gibt fast keinen Punkt, wo ich mit den jecken Traditionen anecke. Aber eben nur fast. Denn genauso wie ich Traditionen mit Stabilität und Sicherheit verbinde, so verhindern sie einige Prozesse an etwas sehr Fundamentalen: Weiterentwicklung.

Und voranschreitende Zeit bringt nun mal eine Fälligkeit an Entwicklung mit sich. Es ist nicht so, dass der Karneval hier stagniert. Wir haben reine Frauengesellschaften und viele Frackgesellschaften, in denen Frauen herzlich aufgenommen und gefördert werden. Nur in einem Traditionskorps sieht das anders aus. Und obwohl es sogar Gesellschaften gibt, in denen Frauen volle stimmberechtigte Mitglieder sind, bleibt die einzig stolz erwähnte Frau des Vereins das Funkemariechen. Wie der Name „Traditionskorps“ schon sagt, wird es hier scheitern, Frauen in führende Positionen zu heben. 

Mich persönlich tangiert dieser Fakt ziemlich wenig. Ich bin mit Ehrengardisten groß geworden und habe den organisierten Karneval seit Kinderbeinen miterlebt. Dabei habe ich meinen Jungs (Bruder und Vater) immer ihr „Ding“ gegönnt. Ich trinke gerne mit den Altstädtern ein Kölsch und freue mich, wenn ich Teil der Feste und Sitzungen sein kann. Durch meine Einstellung ändert sich allerdings nichts an der Tatsache, dass Frauen in diesen Gesellschaften keine tragenden Rollen übernehmen werden. An dieser Stelle zitiere ich Markus Ritterbach: „Viele Frauen arbeiten im Hintergrund schon sehr hart mit. Ohne sichtbar zu sein. Das ist ein Charakterzug einer Frau, dass sie das gerne macht, dafür aber nicht im Rampenlicht stehen muss.“

Unter „mitarbeiten“ interpretiere ich organisatorische Arbeiten für Veranstaltungen, Kuchen backen fürs Sommerfest, Fahrdienst, das obligatorische Kinderhüten usw. Die Reaktionen der Leser hierzu waren sehr gemischt. Einige Frauen haben mitgeteilt, dass sie dankbar sind die Kinder groß zu ziehen, während der Mann feiert, und eben solche Arbeiten im Hintergrund übernehmen. Andere wiederum fordern Frauen im Dreigestirn. Und beide Meinungen (oder Einstellungen) haben ihre Daseinsberechtigung. Wenn ihr mich fragt, dann hat eine Frau, die in dem traditionellen Familienbild ihren inneren Frieden gefunden hat, etwas erreicht, wonach andere streben. Zufriedenheit! Das darf man ihnen nicht madig reden und sie deswegen auch nicht als Opfer darstellen. Aber auf der anderen Seite gibt es nun mal jene, die ihre Nische noch suchen oder sogar dafür kämpfen müssen. Auch das ist ein Anspruch, den man jemanden nicht nehmen darf. Um erneut Herrn Ritterbach zu zitieren: „Der Karneval ist ein Spiegel der Gesellschaft“. Denn egal ob in der Karnevalswelt oder z.B. der Arbeitswelt, diese unterschiedlichen Einstellungen der Frauen wird man immer finden. Der Fakt, dass die Waage hier ein zahlentechnisches Ungleichgewicht darstellt, resultiert also daraus, dass eher Alternativen gesucht werden statt an dem Bestehenden zu arbeiten. Um das festzustellen, muss ich selber kein Kind gestillt haben, sondern eins und eins zusammenzählen. Also: Es gibt Fortschritt und der Karneval lässt schon einige Dinge zu. Aber mit ganz viel Luft nach oben.

Die Künstler im Karneval

Hier ist der Ursprung des Problems und das Verstehen der Sachlage eindeutig schwieriger. Da ich zu einigen Bands in Kölle ein freundschaftliches Verhältnis pflege und das Geschehen nicht nur aus der Ferne beobachte, habe ich mich mit drei Musikern unterhalten. Marita Köllner, Mike Kremer und Stefan Knittler. Alle haben eigene Erfahrungswerte und Blickwinkel auf das Business, obwohl sie alle in der gleichen Suppe rühren. Dass das Verhältnis zwischen erfolgreichen Männerbands zu Frauenbands sehr unausgeglichen ist, lässt sich schnell recherchieren:
Laut Berichterstattung des Stadtanzeigers kommen die Top Ten Karnevalshits der letzten Session nur von Männern. Auf dem Liederzettel von „Loss Mer Singe“ sind drei von 20 Bands mit Frauen am Mikro zu finden. Und das, obwohl hier sehr viele Frauen um Gehör und Respekt kämpfen. (z.B. Pläsier, La Mäng, Rockemarieche & CO.) Die Qualität als Manko wird dabei ausgeschlossen. Denn Mike sowie Stefan sind sich einig, dass es unter den kölschen Frauen sehr gute Musikerinnen gibt. Das Publikum in Kneipen und auf Parties zeigt sich ebenfalls textsicher und die Sitzungssäle im Kölner Umland zeigen sich äußerst dankbar. Was bremst also die Frauen im Karneval eine erfolgreiche Künstlerkarriere hinzulegen? Laut Stefan ist es ein Rechenexempel. Wenn auf 100 Bands nur fünf mit Frauenkonstellation kommen, dann ist es recht wahrscheinlich, dass der nächste Hit von einem Typ kommt. Aber: Die Lieder sind doch da? „Ich han dat Marieche jebütz“, „Ihrefeld“ oder „Wenn du nit danze kanns“ finden auch auf den Afterparties von großen Sitzungen Anklang und tragen massiv zur Stimmung bei. 

Bloggerin Nicci mit Stefan Knittler im Interview

Liegt es also an den Literaten? Macht Sinn. So hat es Marita Köllner während ihrer langen und erfolgreichen Karriere am eigenen Leib erlebt und musste sich gerade von Literaten schwache Erklärungen anhören, warum sie nicht gebucht wird. Meistens hatte es was mit „eine Frau zu viel …“ zu tun. Nun ja, eine Sitzung verkauft sich dann gut, wenn das Programm mit Stimmungskanonen wie Brings, Kasalla und Co. bestückt ist. Für eben dieses Programm ist der Literat zuständig. Also werden diese Granaten gebucht. Logisch. Das Gleiche gilt auch für die Redner. So ist die gut besuchte Sitzung mit guter Stimmung gesichert und der Job des Literaten aus Vereinssicht getan. Ich persönlich denke allerdings, dass ein guter Literat nicht nur Programm und Logistik einer Karnevalsveranstaltung regeln sollte, sondern auch die Förderung des Nachwuchs. Hierfür gibt es Vorstellabende oder auch andere Veranstaltungen (z. B. Kneipenkarneval), wo man sich die Alternativen zu den Höhnern und Co. anhören und unverfälschte Publikumsreaktionen beobachten kann. Bei dem großen Potpourri aus Events sollte es mehr Nischen für junge unbekanntere Bands geben. Das könnte auch die Erfolgsquote von Frauen erhöhen. Das Keyword lautet hier: SUPPORT!

Die Paveier waren mit Planschemalöör auf Tour und Miljö hat einen Song gemeinsam mit Lupo aufgenommen. Wenn die Qualität der Frauen doch so gut ist, warum werden diese dann nicht mal unterstützt? Gerade in Zeiten von Social Media ist es wirklich einfach, ein wenig von seinem Spotlight abzugeben und sich allein aufgrund von medialer Präsenz unter die Arme zu greifen. Natürlich hat man(n) darauf wenig Lust, wenn Frauen sich noch nicht mal gegenseitig unterstützen können. Sie neigen viel mehr dazu, miteinander zu konkurrieren. Das musste ich leider auch schon beobachten und dieses Thema war auch Bestandteil meiner Gespräche. Wer nicht unterstützen kann, darf auch keine Unterstützung erwarten. Das müssen viele Frauen noch lernen. Stutenbissigkeit hat niemand gern in seinem Umfeld.

Nicci Interview mit Mike Kremer Miljö zu Frauen im Karneval

Ein weiteres Thema ist die Sexualisierung der Frauen. Gerade für die Männerwelt steht einfach nur eine Frau auf der Bühne. Keine Sängerin. Keine Band. Egal ob live gespielt oder Playback, ob in Minirock oder Jeans. Das habe ich leider schon persönlich beobachtet und war entsetzt von dieser Art der Respektlosigkeit. Eine Frau im knappen Outfit und sportlichen Tanzeinlagen läuft Gefahr als „billig“ abgestempelt zu werden und die, die sich gesanglich beweisen wollen, werden belächelt. „Lass die Mädels mal machen … höhö.“ Häufig sieht man sowas bei den Veranstaltern, die auch nackte Nummerngirls im Programm haben. Was übrigens NICHTS mit Karneval zu tun hat. 

Die Problematik mit den Frauen im Karneval macht sich in meinen Augen also nicht nur an einer Stelle bemerkbar. Aber eine Lösung dafür kann ich nicht greifen. Je weiter ich die Gedanken hierzu spinne, desto weiter weg ist das Licht am Ende des Tunnels. Aber wie sagt man so schön: Der Weg ist das Ziel!

Und ja lieber Karneval, du hängst da noch in einigen Dingen hinterher. Traditionsbedingt oder weil du einfach zu stur bist, um den Wandel der Zeit zu akzeptieren. Gewohnheit ist eine schöne Sache, öffnet nur leider keine Horizonte. Egal wie sehr ich dich liebe (und du bist ein wirklich großer Teil meines Herzens), fällt es mir schwer zu akzeptieren, dass hier ein Ungleichgewicht gepflegt wird. Trotzdem geht die Reise weiter und ich werde auch zukünftig hinterfragen, wie sich deine Facetten entwickeln und warum.

 

Alle Fotos © Nicci Haumann