Frauen im Karneval: Gefängnis der Gewohnheit (Nicci)

Mein Einstiegsinterview zu dem Thema „Frauen im Karneval“ habe ich mit Mike Kremer geführt. Er ist der Frontmann der kölschen Band „Miljö“, welche schon seit einigen Sessionen mit diversen Ohrwürmern karnevalistische Festivitäten bereichert.

Mike ist verheiratet, hat zwei Kinder und ist nicht nur auf der Bühne musikalisch unterwegs, sondern auch als Produzent in der Branche tätig. Wir kennen uns schon etwas länger und demnach war ich froh, dass Interview Nummer eins mit ihm stattfand.

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Wir trafen uns in den frühen Abendstunden im Café Bauturm, wo wir in der Nähe der Theke (ich mit Rotwein, er alkoholfreies Bier) an einem kleinen Tisch Platz nahmen. Und ohne große Umwege konfrontierte ich Mike mit der existentiellen Frage der diesjährigen Interviewreihe: „Was ist dein erste Gedanke, zu dem Thema Frauen im Karneval“?

Er wirkte für einen kleinen Moment überrascht, erzählte mir aber dann wenige Sekunden später, dass er das Thema zuletzt bei einer Veranstaltung mit Nici von Kempest Finest hatte, wo die beiden feststellten, dass bei einem großen Line Up von vielen Bands nur eine einzige Band mit einer Frau als Sängerin vertreten war.
Aha! Es fällt also nicht nur mir auf, dass hier ein Ungleichgewicht herrscht. Also gehe ich mit Mike auf Ursachenforschung. Woran liegt das?
Mike ist der Überzeugung, dass es musikalisch sehr hochqualifizierte Musikerinnen gibt.

„Da wird vom Gesang oder den Instrumenten her, richtig ordentlich abgeliefert. Weshalb es daran nicht liegen kann. Und auch wenn ich Schubladen-Denken nicht befürworte, so liegt es, glaube ich, an der Wahrnehmung der Frauen, die sich auf der Bühne präsentieren.“

Sehr gut! Wir öffnen schon nach wenigen Minuten Gespräch die Büchse der Pandora. Schubladen! Ich freue mich innerlich und bin gespannt, was jetzt kommt. 

„Bei den Mädels gibt es zwei Optionen: Entweder sie werden belächelt und gar nicht erst richtig wahr genommen, oder sie werden sexualisiert. Das hängt natürlich auch sehr stark davon ab, welches Image die Sängerinnen nach außen hin auf der Bühne präsentieren. Mit sexy Klamotten rutscht man gerne in die Schlager-Schublade, und wenn man sich eher schlichter gibt, wird man von einigen Männern getreu dem Motto „Lass die süßen Mädels mal machen…“, belächelt. Das dieses Business sexistisch ist, müssen wir nicht diskutieren.“

Ich habe nichts einzuwenden. Das Erscheinungsbild spielt hier mit Sicherheit eine Rolle. Und wer sich für ein tiefes De­kolle­té und knappes Höschen als Bühnenoutfit entscheidet, hinterlässt eher den ersten Eindruck des „Schön anzusehen“ anstatt „Tolle Stimme“. Das hat absolut seine Daseinsberechtigung und auf jeden Fall ein Publikum, was genau diese Reize braucht. Wer sich aber dazu entschließt, sich nicht auf die Äußerlichkeiten reduzieren zu lassen, steht ebenfalls vor dem Problem, musikalisch erst genommen zu werden. Eine von Mikes Thesen hierzu ist der Inhalt der Songtexte. 

Miljö bei Fastelovend en de Weetschaff

„Den typischen „Dom Rhing Sunnesching Krams, haben wir alle schon durch. Es muss etwas Besonderes sein und den Kölner emotional erreichen.“

Als ich das hinterfragte, erklärte Mike mir, dass Spezifikationen es schwerer machen. Und mit Spezifikationen wiederum meint er, dass man seine Songtexte z.B. nicht an einen Stadtteil oder ein Geschlecht richten sollte. Etwas womit sich jeder, der Köln liebt, komplett genderneutral identifizieren kann. Welch Vorlage! Da mein Gegenüber einen Karneval-Super-Hit namens „Wolkeplatz“ zu seinem Repertoire zählen kann, konnte ich mir die Frage nicht verkneifen: „Wäre „Wolkeplatz“ genauso ein Hit geworden, wenn er von einer Frau eingesungen wäre?“

Ups! Ja, das war gemein. Aber es hinterfragt die Aussage von Mike. Und um das Hinterfragen geht es mir hier ja schließlich. Mikes Blick weicht von einem überraschten Ausdruck in ein Schmunzeln und er lächelt ein: „Ich denke schon“. Ich sage aus den eben genannten Gründen: Nein.

Ich erzähle Mike dazu eine kleine Anekdote von einer Bekannten, die mir mit aller Ernsthaftigkeit vermitteln wollte, dass sie Frauenstimmen im Karneval gar nicht hören will. Männerstimmen sind das, was Karnevalsmusik ausmacht. Mike macht in dem Moment das Gleiche „Wow-Gesicht“ wie ich, als ich die Aussage hörte. Und dann sagte er etwas, was dem ganzen Gespräch einen schönen roten Faden verlieh: 

„Wir sitzen im Gefängnis der Gewohnheit. Viele KG´s agieren mit Leuten an den Hebeln, die noch aus Zeiten stammen, die im Alltag längst voran geschritten sind. Und wenn man nur das präsentiert bekommt, wie soll man sich da an Neues oder Zeitgemäßes gewöhnen? Noch nicht mal die Frauenvereine buchen Bands mit weiblicher Hauptrolle.“

Und damit hat er zum Großteil leider Recht. Gemeinsam haben wir eine Grenze definiert, die sich um das Kölner City Center schließt und die großen Sitzungssäle eingrenzt. Da wo diese ganzen besagten Frauenstimmen nur im Ausnahmefall mal hinkommen. Generell mangelt es den Bands zwar nicht an Auftritten. Aber was muss passieren, damit diese Grenzen mal gesprengt werden und auch Bands aus anderen Ligen den Fuß auf die bedeutendsten Bühnenbretter Kölns setzen können? Wir haben keine Lösung gefunden. Aber Mike gab mir hierzu noch einen interessanten Ansatz mit:

Wir sind nur 1-2 Generationen davon entfernt, wo Frauen noch überhaupt keine Recht hatten und unterdrückt wurden. Frauen durften nicht wählen oder gar arbeiten. Die Gesellschaft entwickelt sich ja weiter, nur hängt der Karneval hier nach.“

Mike ist sich sicher, dass es sich in Zukunft dahin entwickeln wird, dass Frauen mehr Wertschätzung in der Karnevalsmusik erhalten werden. 

Die Mädels sollen am Ball bleiben und sich was trauen. Vielleicht etwas weniger Perfektionismus und Druck, aber dafür ein gutes Durchhaltevermögen und sich trotzdem den Spaß an der Musik bewahren.

Damit war für mich alles gesagt. Ich erhob mein Glas, wir stießen an und ich bedankte mich für das Gespräch. Mike ist definitiv kein Sexist und weiß seine weiblichen Kollegen zu schätzen. Er musste nie lange überlegen, was er zu meinen teilweise spitzen Bemerkungen sagen soll. Er ist in seiner Ansicht gefestigt und hofft ebenfalls auf mehr Gleichgewicht in der kölschen Musikwelt.

Alle Bilder BKB Verlag.