Große Schäl Sick: Fastelovend mit Händen und Armen (Brigitte)

Wenn sich die Jeckinnen und Jecken zur Großen Schäl Sick Sitzung im Dorint Hotel an der Messe treffen, steht neben Präsident, Bands, Rednerinnen, Rednern und Tanzgruppen immer auch ein weiterer Mensch am Bühnenrand. Er bewegt sich mit im Rhythmus, lacht und arbeitet mit seinen Händen: der Gebärdensprachdolmetschende! Aline Ackers und Michael Zymelka übersetzen im Wechsel das Geschehen für hörgeschädigte Jeckinnen und Jecken.

 

Geht das überhaupt? Fehlt dann nicht das Zusammenspiel von Musik, Text und Schunkeln, um das besondere Jeföhl zu erleben? „Nein“, antwortet Stefanie, eine hörgeschädigte Jeckin, entschieden. „Wir Hörgeschädigten haben natürlich auch immer schon im Karneval mit geschunkelt, getanzt und gefeiert. Jetzt mit der Übersetzung in Gebärdensprache ist es aber nochmal was ganz anderes geworden. Das Gefühl ist noch stärker als früher …“ Und Aline Ackers räumt mit dem Missverständnis auf, dass alle Hörgeschädigte komplett taub sind. Der Begriff bezeichne auch stark schwerhörige Menschen, die vielleicht noch Musik hören, aber den Text nicht verstehen, die nur bestimmte Tonlagen hören oder Vibrationen spüren können.

Große Schäl Sick Sitzung in Gebärdensprache

Für alle diese Menschen wird das gesprochene Wort in Gebärdensprache übersetzt. Im Saal des Dorint an der Messe sitzen die hörgeschädigten Jeckinnen und Jecken an einem langen Tisch direkt vor der Bühne. Man kennt sich, trifft sich hier und so gibt es erst einmal ein Gruppenbild mit Aline und Michael.

Vor einigen Jahren hat der LVR über das Festkomitee Kölner Karneval nach Gesellschaften gesucht, die ihre Sitzung in die Gebärdensprache übersetzen lassen wollten. Eine von ihnen ist seit drei Jahren die Deutzer KG Schäl Sick vun 1952 e.V. Karneval zu feiern soll für alle Jeckinnen und Jecken möglich sein, so ihre Devise. Seitdem stellt der LVR Freikarten für einen großen Tisch zur Verfügung, an dem Menschen mit Hörschädigung die Sitzung feiern können. Was für ein Privileg das ist, zeigt Stefanies Aussage: „Ich bin schon über 50… und darf den Karneval erst jetzt so erleben. Ich habe Spass wie nie zuvor. Mit den Dolmetschern und der Initiative Karneval für alle können wir jetzt wirklich richtig mit dabei sein. Auf Sitzungen war ich früher auch schon. Aber auch meine hörenden Freundinnen haben gesagt, dass sie mich so ausgelassen und glücklich noch nicht feiern gesehen haben.“

Gebärdensprachdolmetschende sind Übersetzer

Zurück zur Große Schäl Sick Sitzung. Als das Kindertanzcorps Fiedele Grön-Wieße REZAG auf der Bühne lostanzt, ist sofort Stimmung im Saal. Von Null auf Hundert! Alle Jeckinnen und Jecken im Saal haben ihren Spaß, lachen schunkeln, tanzen mit. Angesichts der artistischen Künste der Rezaghusaren mit ihren Hebungen und Würfen halten viele den Atem an und die Tanzgruppe wird gefeiert!

Schon hier zeigt sich, dass die Gebärdensprachdolmetschenden keine Konkurrenz zu den Darbietungen auf der Bühne sind. Sie performen laut Aline Ackers nicht, sondern dolmetschen und übersetzen. Und so übersetzt sie auch nur die Ansagen der Kommandanten und lässt die Zuschauer sich dann ganz auf den Tanz konzentrieren.

Bei den Klüngelköpp ist Michael Zymelka an der Reihe. Beide wechseln sich ab, denn das Übersetzen in Gebärdensprache ist anstrengend. Wenn man ihnen zuschaut, merkt man sofort, dass sie mit viel Herzblut und Leidenschaft bei der Sache sind. Ohne das geht eine Übersetzung nicht, schließlich sollen Hörgeschädigte ja das Gleiche erleben wie Hörende.

 

Michael erzählt von einem Jecken, der erst nach vielen Jahren durch die Übersetzung verstanden hat, dass bei Klaus & Willi der Affe sprechen kann. Dadurch wurde ihm klar, wie wichtig es ist, das Brauchtum zu übersetzen, damit Hörgeschädigte daran teilhaben können. Aline empfindet es als wunderschönes Privileg, die Brücke zwischen zwei Kulturen sein zu dürfen. Sie erzählt von einer Dame, die zu weinen anfing, als sie das erste Mal den Text zu „Alle Jlläser huh“ von Kasalla hörte. Da habe sie, so die Dame, zum ersten Mal bewusst gefühlt, dass Musik auch verbinden kann. Stefanie ergänzt, dass sie jetzt im Karneval alles nachholt, was sie bisher verpasst hat.

Jeck muss man schon sein

Eines ist klar: Gebärdensprachdolmetschende müssen im Karneval jeck sein. Spätestens drei Wochen vor dem 11.11. läuft zu Hause nur noch Karnevalsmusik. Für die Sessionseröffnung, bei der fast alle Künstlerinnen und Künstler auftreten, müssen die Texte auswendig gelernt werden. Neben dem jeweils neuen Sessionstitel haben alle Musikerinnen, Musiker und Bands eine Setliste von ca. fünf bis sieben Liedern. 

Der Grund dafür ist einfach: Bei einer Simultanübersetzung gäbe es ja immer eine zeitliche Verzögerung zur Musik. Bei Rednerinnen und Rednern ist das anders, da kennen die Gebärdensprachdolmetschenden die Texte selten vorher und dolmetschen meist simultan. Im Laufe der Session wird es einfacher, weil der Grundstock der Reden außer den aktuellen Einschüben dann bekannt ist.

Gibt es eine kölsche Gebärdensprache?

Jein. Wie am Tonfall – beispielsweise der rheinische Singsang – oft die Herkunft des Menschen zu erkennen ist, so lässt sich diese auch aus dem Zusammenspiel von Mundbild, Armen und Händen beim Dolmetschenden erschließen. Darüber hinaus gibt es für einzelne kölsche Begriffe besondere Gebärden. Dazu Stefanie:„Natürlich verstehe ich nicht alles… Das liegt aber nicht an der Übersetzung, sondern an dem kölschen Dialekt 😊.“

Um Kölsch in Gebärdensprache übersetzen zu können, muss man die Sproch verstehen. Deshalb hat Aline Ackers extra einen Kurs für gesprochenes Kölsch bei der Akademie för uns kölsche Sproch absolviert. Zudem besuchte sie Stammtische von hörgeschädigten Senioren und eignete sich so kölsche Gebärden an. Hinzu kommt der ständige Austausch mit Kolleginnen und Kollegen. Herausgekommen ist eine lange Liste, aber ein kölsches Gebärdenwörterbuch gibt es noch nicht.

Karneval für alle

Schon seit 2013 bemühen sich das Festkomitee Kölner Karneval und der Landschaftsverband Rheinland (LVR) um einen inklusive Karneval. Jeckinnen und Jecken mit und ohne Behinderung sollten gemeinsam Fastelovend feiern können und so startete die Initiative, die mittlerweile „Karneval für alle“ heißt. Sie umfasst Angebote wie die Übersetzung in Gebärdensprache auf Veranstaltungen, Live-Beschreibungen der Schull- und Veedelszöch und des Rosenmontagszuges sowie rollstuhlgerechte Tribünen am Zugweg.

Mittlerweile hat Dr. Heinz Peter Schnepf, der nach dieser Session aus seinem Amt als Präsident ausscheidet, schon längst die nächsten Nummern angesagt. Ob Höppemötzjer, Dreigestirn oder Bernd Stelter, die Stimmung im Saal ist fröhlich und ausgelassen. Wie schön, dass das ALLE Jeckinnen und Jecken das miterleben und verstehen können. 

Fotos: ©BKB