Herrensitzung – Kölle is e Jeföhl (Frank)
Es ist Herrensitzung und Punkt 10 Uhr erklingt aus dem neben mir liegenden Tablett die in der Wecker-App voreingestellte Melodie von „Morning Flowers“ – so entrückt wie der Blumengruß aus einer außerirdischen Welt. „Scheiß Strüßjerhochdeutsch Sträußchen, werden im Zug überreicht und zum Dank gibt es ein Bützje. More“, denke ich, denn gerade noch habe ich mit einem lecker Mädche Ärm in Ärm zu „Stääne“ geschunkelt. Doch wie heißt es so zutreffend: „Träume sind Schäume!“
Dabei hatte es sich am Vorabend oder besser gesagt in den frühen Morgenstunden noch genauso zugetragen: mit meinen Freunden Alex und Peter sowie untergehakt mit einer ganzen Traube von stolzen Uniformträgerinnen der 1. Damengarde Coeln in Jimmy´s Bar, Pullmann Cologne.
Herrensitzung – Schlacht gegen Griesgram und Muckertum
Aber es nützt ja nix: Denn am heutigen Sonntag steht mit der Hääresitzung (Herrensitzung) der Nippeser Bürgerwehr bereits ab 12 Uhr (Einlass) die nächste Schlacht gegen Griesgram und Muckertum auf dem Programm. Also Augen aufgeschlagen, aus dem Bett gesprungen, frisch jewäsche un raseet (gewaschen und rasiert), gute Grundlage geschaffen für „Ihr-wisst-schon-für was“, rein in den Waffenrock und ab ins Auto – erneut Richtung Pullman Cologne.
Auf dem Weg dorthin bleibt Zeit genug, uns über unsere heutige Motivation auszutauschen. Mit „uns“ sind ich und Martin gemeint, mit dem ich in der wahrscheinlich ersten karnevalistischen Senioren-WG Kölns zusammenwohne und -lebe. „Hast Du auch so viel Lust?“, frage ich. „Total“, kommt von nebenan die etwas gequälte aber doch augenzwinkernde Antwort. Denn wir beide sind im Prinzip der Meinung: Herrensitzungen braucht kein Mensch!
Karneval braucht kein Mensch?
Nun könnte man angesichts der vielen Krisen, Kriege und Hungersnöte auf der Welt ganz generell denken: Karnevalkommt von „Carne vale! Fleisch, lebe wohl!“und bringt den Charakter des Festes als Freudenfest vor der langen Fastenzeit zum Ausdruck bringt. More braucht kein Mensch. Noch heute Morgen lese ich auf Spiegel Online die alarmierende Nachricht: 100.000 Menschen im Sudan von einer Hungersnot bedroht. Darf man vor diesem Hintergrund überhaupt noch dem Fasteleer fröhnen? Ich finde: Ja! Wir leben in einer Stadt mit vielen Unzulänglichkeiten, wie zum Beispiel Wohnraumüberfluss bei Discount-Mietpreisen, eine zukunftsträchtig ausgebaute Infrastruktur, ein vollkommen staufreier Verkehrsfluss, ein solides Brückenmanagement, Sauberkeit an allen Ecken und Enden – vor allem Taubenkotfreie Unterführungen – sowie eine in allen Belangen höchst effiziente städtische Administration. Trotzdem beziehungsweise gerade deshalb lässt es der Kölner so gerne krachen. Denn auch, wenn er nicht feiert, gilt: Et is esu, wie et is!
Nur mit dem Unterschied, dass man sich gegen die Unzulänglichkeiten der Welt besser gewappnet fühlt, wenn man sich auch mal Auszeiten gönnt. Das ist keine Ignoranz, sondern Luftholen im Kampf nicht nur gegen Griesgram und Muckertum, sondern auch, vor allem auch, gegen Hunger, Gewalt und Armut. Genau das ist in meinen Augen damit gemeint, wenn es heißt. Kölle is en Jeföhl. Mit anderen Worten: Lebensfreude – nicht trotz einer Realität, die dazu häufig im Kontrast steht, sondern gerade deshalb.
Herrensitzung mit Jeföhl
Mit dieser Grundstimmung im Herzen erreichen Martin und ich also die Helenenstraße 14 in der Kölner City. Und was soll ich sagen: Trotz aller anfänglichen Bedenken entpuppt sich der weitere Verlauf des Tages als ausgesprochen gelungen.
Es fängt schon damit an, dass der große Festsaal im Pullman bis zur letzten Tischreihe bestens gefüllt ist. Dies ist bei Herrensitzungen, einem keineswegs unproblematischen Veranstaltungsformat im Kölner Karnevalkommt von „Carne vale! Fleisch, lebe wohl!“und bringt den Charakter des Festes als Freudenfest vor der langen Fastenzeit zum Ausdruck bringt. More, nicht selbstverständlich. Gewöhnungsbedürftig ist allerdings, dass das Gros der Gäste kostümlos und in dunklen Anzügen gewandet ist. Dies verleiht der Veranstaltung zunächst eine etwas steife und förmliche Atmosphäre.
Doch nach der Eröffnung durch Sitzungsleiter Didi Broicher und dem Einzug des kompletten Appelsinefunken-Korps mit Tanzpaar, Soldaten, Offizieren und Musik, gelingt es Bernd Stelter, Ne Blötschkopp Marc Metzger, Guido Cantz und Wicky Junggeburth ein wahres zunächst überwiegend verbales Feuerwerk zu zünden. Besonders gelungen sind die Vorträge von Bernd Stelter und Marc Metzger, die es schaffen, auch jenseits frauenfeindlicher und sexistischer Witze Lachsalven zu entfesseln. Donald Trump und anderen (welt-)politischen Kuriositäten sei es gedankt.
Kölsche Tön
Die Micky Brühl Band leitet zum überwiegend von kölschen Tön geprägten zweiten Teil über. Ein Loch (so nennt man die durch Verspätung eines Künstlers erzwungene Pause) wird gekonnt durch das spontane Einspringen von De Frau Kühne überbrückt. Voller Selbstironie spielt sie auf ihre Figur an, die nicht gerade an einen tapezierten Knochen erinnert. Den zu erwartenden Zwischenruf eines vorlauten Gastes „Ausziehen!“ kontert sie, indem sie den darauf etwas verdutzt Dreinschauenden auf die Bühne holt und auffordert, es ihr dann zumindest gleich zu tun. Um es vorweg zu nehmen: Zum Äußersten kommt es nicht!
Denn die Rabaue bringen uns gerade noch rechtzeitig zu „He am Rhing“.
Und spätestens bei der schwungvollen Tanzeinlage der Fauth Dance Company und dem erst recht mitreißenden Schlussact von Querbeet mit „Stonn op un danz“ steigt auch der Letzte auf den Stuhl.
Der anschließende Ausklang in Jimmiy´s Bar endet gerade noch rechtzeitig genug, um pünktlich um 20.15 Uhr den Kölner Tatort im Ersten mit dem vielversprechenden Titel „Tanzmariechen“ einzuschalten.
Tatort und Tanzgruppen
Allerdings muss ich leider im Nachhinein feststellen: Das Bild, welches hier zum 20-jährigen Jubiläum von Ballauf und Schenk vom Kölner Karnevalkommt von „Carne vale! Fleisch, lebe wohl!“und bringt den Charakter des Festes als Freudenfest vor der langen Fastenzeit zum Ausdruck bringt. More gezeichnet wird, ist gelinde ausgedrückt vollkommen unrepräsentativ. Krankhaften Ehrgeiz mag es im Einzelfall geben. Aber dass dieser sogar (selbst-) mörderische Blüten treibt, entspricht eher dem durchweg düsteren Charme der domstädtischen Tatortfolgen als dem wahren Gesicht der karnevalistischen Tanzszene in Köln. Die KG Sr. Tollität Luftflotte, Hellige Knäächte un Mägde, De Höppemötzjer und andere verstehen es vielmehr, einen hohen tänzerischen Anspruch mit ebensolcher Heiterkeit zu paaren.
Ich selbst habe dies schon oft genug hautnah erleben und spüren dürfen. Kölle ist eben auch auf der Tanzbühne vor allem eins: e Jeföhl.
Infos zu den Veranstaltungen der Appelsinefunke findet Ihr hier!