„M’r levve nor einmol“ – Aber wie, Pierre & Juri? (Daria)

Es ist ein strahlend schöner Sonntag im Januar. Der Himmel ist nach vielen trüben Tagen endlich noch mal richtig blau. Ich will mich gerade an meinen Schreibtisch setzen, als mein Handy klingelt. Eine unbekannte Nummer steht auf dem Display. „Hey, hier ist Pierre von Planschemalöör“, sagt die Stimme am anderen Ende, als ich abhebe. Mir rutscht das Herz in die Hose. In gut einer Stunde, um 15:00 Uhr, bin ich mit Pierre, dem Gitarristen der Band Planschemalöör und seinem Bandkollegen, Sänger Juri, via Videotelefonie zum Interview verabredet. Ein kleines Highlight für mich in so unspektakulären Zeiten wie diesen. Wieso ruft er jetzt an? Will er absagen? 

Lass dein Leben nicht von Terminen diktieren, die du einfach verschieben kannst

„Ich wollte fragen, ob wir das Interview vielleicht auf heute Abend verschieben können. Dann könnten wir noch ein bisschen das schöne Wetter ausnutzen“, sagt er freundlich. Erleichtert sinke ich zurück in meinen Stuhl und lache: „Klar, kein Problem! Macht das ruhig. Wir sehen uns heute Abend!“ 

Mir schießt sofort durch den Kopf, dass der vergangene Moment der perfekte Einstieg für diesen zweiten Artikel meiner „M’r levve nor einmol“-Reihe ist. Denn nachdem ich bereits mit Mike Kremer von Miljö darüber gesprochen habe, wie wir jeden Herzschlag unseres Lebens ausnutzten können, möchte ich mich nun davon inspirieren lassen, wie Pierre und Juri über dieses Thema denken. Und schon durch dieses Telefonat, das nicht länger als eine Minute dauerte, habe ich erkannt, dass man sich einen wunderschönen Tag nicht von Terminen diktieren lassen muss, die man auch ganz einfach verschieben kann. Vielleicht sollte ich mir auch noch mal überlegen, ob ich heute im Büro bleibe oder raus in die Sonne gehe …

Etwas Neues ausprobieren und dadurch Energie gewinnen

Ich bin ein bisschen aufgeregt, als ich Pierre und Juri um 19:00 Uhr dann tatsächlich auf meinem Laptop sehe. Dabei kenne ich die Band, in der die beiden spielen, noch gar nicht so lange. Vor ungefähr drei Wochen, an einem langweiligen Samstagabend, stieß ich zufällig auf einen Live-Stream der Musiker. Sie übertrugen ein ganzes Konzert aus ihrem Probe-Keller via YouTube ins Netz. Ich blieb hängen. Und ich liebte es. Das lag vor allem daran, dass die vier Jungs (neben Pierre und Juri spielen auch Alex und Mathis in der Band) so unfassbar viel Spaß an dem hatten, was sie da taten. Sie lachten, tanzten und machten Musik mit einer Energie, die ich bis in mein Wohnzimmer spürte. 

„Wir hören immer wieder Leute sagen, das letzte Jahr sei verschwendete Zeit“, erzählt mir Pierre, als ich ihnen von meiner Begeisterung für ihr Onlinekonzert berichte. „Aber das ist crazy, so was zu sagen. Ich meine, wie ätzend wäre das denn, wenn man das Gefühl hat, ein ganzes Jahr oder gleich zwei Jahre seines Lebens verschwendet zu haben?“ Der 30-Jährige lacht herausfordernd. „Als uns bewusst wurde, dass es erst mal nichts wird mit Konzerten, haben wir uns gesagt, dann machen wir eben etwas anderes. Das hat uns einen richtigen Schub gegeben.“ Und so tüfteln die Jungs nun jede Woche ein neues Unterhaltungsprogramm aus, das sie jeden Samstag live ins Netz senden.  

Selbstzweifel verhindern, dass wir einfach tun, wonach uns ist

Eben ganz nach dem Motto „M’r levve nor einmol“. Passenderweise haben Pierre und Juri sogar einen Song mit diesem Titel geschrieben. Wenn man ihn hört, könnte man meinen, die beiden wüssten genau, wie man sein Leben völlig gelöst genießen kann. Doch Juri gesteht mir, dass das nicht immer so war.   

„Ich habe mich früher zum Beispiel immer ein bisschen einschüchtern lassen, wenn ich mit vielen Musikern zusammen war und Musik gemacht habe.“ Er streicht langsam seine Haare hinters Ohr, als er davon erzählt: „Wenn dann jemand gesagt hat: ‚Juri, sing du doch mal was‘, dann habe ich gesagt: ‚Nee, ich bin nur zum Zuhören hier‘. Eigentlich hatte ich Lust zu singen, aber ich habe mich nicht getraut, denn es hätte ja jemand scheiße finden können.“

Es geht nicht um das, was am Ende rauskommt, sondern darum, wie es sich angefühlt hat, während du es getan hast

Ich lächele ertappt, als er das erzählt, denn ich finde mich zu hundert Prozent in dieser Geschichte wieder. Wie oft habe ich mich schon versteckt und zurückgehalten, weil ich an mir zweifelte, obwohl ich eigentlich Lust gehabt hätte, einfach mal zu machen. 

Juri erkennt, dass ich ihn verstehe und sagt dann etwas, das ich so schnell nicht mehr vergessen werde: „Aber es geht ja gar nicht um das, was am Ende dabei herauskommt, wenn du etwas machst. Zum Beispiel in meinem Fall, wie es klingt, wenn ich singe. Sondern es geht darum, dass ich gesungen habe und wie es sich dabei angefühlt hat.“ 

Mir wird klar, wie Recht er hat. Denn was haben wir schon zu verlieren, außer wertvolle Lebenszeit, in der wir etwas erleben können?

Small Talk ist verschwendete Lebenszeit

Und solange Juri lebt, will er seine Zeit nicht verschwenden. Vor allem nicht mit leeren Worten. In dem Song „M’r levve nor einmol“ von Planschemalöör heißt es, wir seien gefangene Figuren ohne Seele, die immer nur die gleichen Züge machen. Ich will wissen, was die beiden damit meinen. Juri sagt, ihm käme als erstes Small Talk in den Sinn, wenn er an diese Zeilen denkt. 

„Das ist etwas, das ich mir echt abgewöhnen muss – lange Small Talk führen, ohne etwas zu sagen: ‚Hey, wie geht’s dir? Mir geht’s gut und dir?‘ Bla bla bla. Dann hast du fünf Minuten deines Lebens damit verschwendet, etwas zu sagen, das du nicht denkst. Denn meistens sagst du ja einfach, dass es dir gut geht“, meint Juri. „Man hat es so beigebracht bekommen, aber eigentlich fühlt es sich für mich wie Zeitverlust an.“ Stattdessen, so meint er, könne man ja ehrlich sagen, wie es einem geht und sich wirklich für die Person interessieren, mit der man spricht. 

Man muss wertschätzen, mit welchen Menschen man seine Zeit verbringen darf

Solche Gespräche führt man meist mit Menschen, die einem wirklich wichtig sind. Dass er dafür nicht ewig Zeit hat, erkannte Pierre zuletzt an Weihnachten: „Ich bin eigentlich nicht so ein Familienmensch – der Sohn, der sich nicht oft bei seinen Eltern meldet. Aber als ich dieses Jahr Weihnachten mit meiner Familie verbracht habe, ist mir aufgefallen, wie schön das ist“, erinnert er sich und schaut kurz nachdenklich an der Kamera vorbei. „Ich glaube, das ist mir in den letzten dreißig Jahren gar nicht so bewusst gewesen, wie dankbar ich sein muss für jeden Moment, den ich mit meiner Familie verbringen kann. Denn, wie man jetzt merkt, weiß man nicht, wie schnell diese Momente auch wieder vorbei sein können und dass man vielleicht auch längere Zeit warten muss, um seine Lieben wiedersehen zu dürfen. Das war so ein Moment, in dem ich gedacht habe: Man muss das Leben genießen und wertschätzen, mit welchen Menschen man seine Zeit verbringen darf.“

Die Planschis wollen den Eurovision Song Contest nach Kölle holen

Es ist fast halb neun, als unser Gespräch langsam zu Ende geht. Ich will mich gerade von den beiden verabschieden, da fällt Juri plötzlich noch etwas Wichtiges ein: „Pierre, du musst noch sagen, dass du zum ESC willst! Wir wollten das doch in jedem Interview erwähnen.“

Pierre reißt die Augen auf und ruft plötzlich völlig begeistert: „JA! Ja! Ja!“ Er sammelt sich kurz und sagt dann etwas ruhiger, aber mit einem dicken Grinsen im Gesicht: „Also: Wir wollen zum ESC. Wir sind große Fans vom Eurovision Song Contest und wir haben vor Jahren darüber mal mit jemandem gesprochen und der hat und gesagt: ‚Ja nee, ihr singt kölsch, da habt ihr eh keine Chance‘. Aber das hat irgendwas in mir ausgelöst.“ Ich kann seine Begeisterung für das Thema richtig spüren. Er meint, je öfter er öffentlich darüber spricht, desto ernster muss er seinen Traum selbst nehmen. 

Herrensitzung Mauenheimer Muschele

Man muss einfach nur hart daran glauben

„Wir haben keine Angst davor, zu scheitern. Wir werden der Menderes* des ESC. Wir versuchen jetzt jedes Jahr, irgendwie da rein zu kommen. Stell dir mal vor, wie es wäre, wenn dann irgendwann die Planschis in Badehosen Köln repräsentieren! Wenn es dann so weit ist, dann kannst du dieses Interview rausholen und sagen: Hey, die haben es schon damals gesagt, man muss einfach nur hart dran glauben. Wir gehen zum ESC und das wird ziemlich geil.“   

Schon als ich die Jungs vor drei Wochen zum ersten Mal in ihrem Live-Stream gesehen habe, war ich begeistert von der positiven Energie der Musiker. Von der Kreativität, mit der sie das Beste aus der aktuellen Situation machen. Aber spätestens jetzt bin ich restlos fasziniert von der Art und Weise, wie diese Kerle denken. Davon, dass sie groß träumen und es nicht nur bei der Fantasie belassen, sondern überzeugt davon sind, dass ihr Traum Wirklichkeit werden kann. Und dafür brauchen sie vermutlich nicht viel mehr als sich selbst und ihre Badehosen. 

*DSDS-Kandidat, der in jeder Staffel versuchte, Deutschlands nächster Superstar zu werden.

Werbebild von Planschemalöör: die Band posiert vor einer rosa wand und sonnt sich im Scheinwerferlicht

Fotos: ©Daria Bücheler, ©YouTube/Planschemalöör (Screenshot Planschis live), ©BKB (Konzert) @Planschemalöör (Studiobild)