Stefan Knittler – Qualität vs. Glitzerbonbon (Nicci)
Stefan habe ich vorher immer nur sporadisch auf diversen Events getroffen. Dabei hatte ich aber die Gelegenheit, ihn zwischen Tür und Angel zu fragen, ob er Interesse hätte, bei der Interview Reihe „Frauen im Karneval“ dabei zu sein. Er sagte direkt zu, wir tauschten Nummern aus und trafen uns eines Nachmittags im Kwartier Latäng in der Creperie Engelbäth. Stefan ist durch und durch Kölsch und ein Musiker mit Herzblut. Weniger in den großen Sitzungssälen, dafür umso mehr bei Mitsingveranstaltungen wie z.B. „Loss mer Weihnachtsleeder singe“ im Stadion.
Auch hier habe ich direkt zu Gesprächsbeginn einen Sprung ins kalte Wasser gewagt und stellte die existenzielle Frage der Interviewreihe: „Was ist dein erster Gedanke, zu dem Thema „Frauen im Karnevalkommt von „Carne vale! Fleisch, lebe wohl!“und bringt den Charakter des Festes als Freudenfest vor der langen Fastenzeit zum Ausdruck bringt. More“?“
„Da gibt es nicht einen Gedanken, das ist ein weites Feld von Funkemariechen bis hin zu Rockabilly“
Okay, ich hake nach:
„Und aus der Sicht eines Musikers?“
Er grinste kurz, erwähnte mit einem Augenzwinkern das Wort „Political Correctness“ und setzte an:
„Ich sag mal, wie es ist: Die gute Nachricht ist, dass es sehr gute Musikerinnen im Fastelovend gibt.“
Er atmete kurz durch und setzte zum „Aber…“ an:
„Es gibt leider auch sehr sehr viele, die sich auf das „weiblich sein“ reduzieren und sich dann beschweren, sie würden nicht ernst genommen. Die betreten eingelaufene Pfade und lassen sich abstempeln.“
Sofort muss ich an mein Gespräch mit Mike denken. Der kam auch recht zügig und zu Beginn des Themas auf diesen Zweig. Aber wie sieht Stefan das Ganze? Ich versuche mal die Schuld auf das Publikum in den Kölner Sitzungssälen und auf die großen Vereine zu schieben. Denn zumindest habe ich in den letzten Jahren keine Sitzungist eine Karnevalsveranstaltung zwischen der Proklamation und Karnevalsdienstag mit einem bunt gemischten Bühnenprogramm: Tanzgruppen und Korpsgesellschaften ziehen in den Saal und präsentieren ihre Tanzkünste, Büttenredner widmen sich mit Witz und Ironie den großen und kleinen Themen der Welt und kölsche Musiker reißen das Publikum von den Stühlen. Highlights sind der Einzug des Dreigestirns und die Ansprache des Prinzen an sein „Narrenvolk“. More besucht, bei der eine „Girl Band“ aufgetreten ist. Stefan blockt ab. Er versteht zwar, das ich diesen Punkt hinterfrage, glaubt aber nicht, dass es am Publikum liegt.
Und seine Antwort hierauf ist (auf Ansage) extrem:
„Klar gibt es ein kleines Imageproblem, was aber auch mit den jeweiligen Frauen zu tun hat. Das ärgert mich selber auch. Ich habe Freundinnen, die eigentlich richtig gute Musikerinnen sind. Sie entschieden sich aber bewusst für den unkomplizierteren Weg, indem sie sich verkleiden wie ein Glitzerbonbon und mit Halbplayback über die Bühnen hüpfen. Das ist der falsche Weg und begeistert nicht so, wie es wirklich gute Musik tut!“
Und auch wenn ein Teil in mir Stefan zustimmt, möchte ich das nicht so einfach durchgehen lassen. Es gibt ja nicht ausschließlich „Glitzerbonbons“, die Musik machen, sondern auch tatsächliche Bands ohne Playback und mit echten Instrumenten. Sind die in seinen Augen alle einfach nicht gut genug? Und mit dem Punkt Qualität, treffe ich bei Stefan einen sensiblen Punkt.
„Auf keinen Fall! Ich würde nie behaupten, dass es bei den Frauen keine Qualität gibt.“
Lenkt er ein. Er hat auch direkt ein paar Beispiele, wo er viel Können und Leidenschaft beobachtet und nicht das Gefühl hat, das den Bands Steine im Weg liegen, weil sie Frauen sind.
Mir gefällt die feste, aber nicht feindliche Überzeugung von Stefan. Er steht zu seinen Worten, möchte damit aber niemanden auf die Füße treten. Und warum die Auslese in den Sitzungssälen eher männerdominiert ist, macht er an einem ganz klaren Rechenexempel fest.
„Die Anzahl an Männern, die da unterwegs ist, ist schlichtweg viel größer. Wenn unter 100 Bands nur fünf Mädelsbands dabei sind, dann ist die Wahrscheinlichkeit einfach recht groß, dass es Jungs sind, die da durch kommen. Und auch die müssen ja erst mal Erfolg haben.“
So habe ich das bisher noch nie gesehen. Aber tatsächlich spricht nicht nur die Logik dafür. Es ist ja nicht so, dass wir jede Session einen neuen Shooting Star erleben. Höchstens alle paar Jahre. Und auch One-Hit-Wonder sind in der kölschen Musik keine Seltenheit. Vielleicht hat es einfach nur noch keine Frau erwischt, weil es die mathematische Reihenfolge noch nicht zugelassen hat? Die waren einfach noch nicht dran! Aber neben dem Stellenwert im Zahlensystem kommen ja auch noch andere Faktoren hinzu:
„Der Weg ist nicht einfach! Da braucht man neben Talent, guten Songwriting und Durchhaltevermögen auch ein wenig Glück. Es ist einfach ein kleiner Raum mit sehr viel Konkurrenz. Um einen Stellenwert zu erlangen und wahr genommen zu werden, muss man einfach Qualität auf sehr hohem Niveau liefern. Oder eben eine Nische finden, wo das egal ist. Und das gilt für Frauen und für Männer.“
Stefan geht sogar weit und behauptet: „Wenn es mehr Frauen gäbe, die am Instrument und Ton so gut wären wie die Männer, würden sich viele freuen.“
Worauf Stefan hinaus will ist, dass ein Großteil der Frauen ihr musikalisches Talent vergeuden, indem Sie der Versuchung nachgeben und den „Easy Way to Success“, also die Glitzerbonbon-Variante wählen. Hier nennt er sich sogar selbst als Beispiel:
„Cover ich oder Cover ich nicht? Spiele ich die altbekannten Hits, wenn ich gefragt werde, oder ziehe ich mein eigenes Zeug durch. Dafür habe ich auch schon eins auf den Deckel bekommen“
Ich glaube wirklich, dass Stefan den Struggle der Frauen versteht und trotzdem nicht damit einverstanden ist, dass diese sich dann beschweren, nicht ernst genommen zu werden. Die Mitsing-Musikanten werden ja hier und da auch mal belächelt. Und trotzdem ist das Covern bestimmt oft die leichtere Lösung.„Eine Band gibt sich ein Image, nicht das Kölner Publikum.“
Mit der Aussage beende ich die Tonaufnahme. Wir trinken noch ein Kaffee und plaudern ein wenig.
Fotos: ©Nicci Haumann