11.11. – Rote Karte gegen Antisemitismus (Brigitte)

11.11. – die Session ist endlich eröffnet, der Tanzbrunnen rappelvoll, mehr als 10.000 Jecken schunkeln und tanzen auf der Schäl Sick beim „Grossen Kölschen Countdown“. Domstürmer, Druckluft & Co. machen Stimmung auf der Bühne, das designierte Dreigestirn zeigt sich den Jecken, eigentlich alles wie immer und doch ist dieses Jahr etwas anders als sonst. 

Das merkt man schon, wenn man über das Gelände in den Tanzbrunnen geht. Hier stehen wie jedes Jahr Wickelzelt und Hüpfburg, aber auch ein Infostand des NS Dokumentationszentrum Köln und vom Verein „321-2021: 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland e.V. Was hat das mit Fastelovend zu tun? 

Das wird um 13 Uhr klar, als Professor Zöller, Präsident der “Grosse von 1823“, die die Veranstaltung jedes Jahr auf die Beine stellt, gemeinsam mit Gästen aus den jüdischen Gemeinden auf die Bühne tritt und Moderator Linus die fröhlich feiernden Jecken um ein paar Minuten Aufmerksamkeit, Toleranz und Verständnis bittet. 

Nach dem versuchten Massenmord in Halle, bei dem zwei Menschen getötet wurden, stand es für die Karnevalsgesellschaft fest, dass man auch im Fastelovend Flagge zeigen müsse. Dass sich alle entschlossen gegen Rassismus, Rechte Gewalt und Antisemitismus stellen müssten. Damit nie wieder rechtes Gedankengut, rechter Terror und Gewalt in unsere Gesellschaft einziehen könne.

Arsch huh und Zäng ussenander gegen Antisemitismus

Wie sehr sich die Welt nach Halle verändert hat, wird spätestens klar, als Aaron Knappstein, Präsident von Kölns noch jungen jüdischem Karnevalsverein der Kölschen Kippa-Köpp, zu den Jecken spricht: „Ich bin in Kölle jebore. He is ming Heimat, ihr seid ming Heimat“. Und dann bittet er eindringlich: „Kritt der Arsch huh und de Zäng ussenander gegen Antisemitismus. Egal, ob in euren Familien, bei der Arbeit, in der KVB oder in Kaffeebud, wo auch immer. Damit Kölle och ming Heimat blieve kann.“ Für einen Moment hat sich die Stimmung im Tanzbrunnen gewandelt. Beklommenheit ist spürbar.

Mit Recht! Denn Jüdinnen und Juden gehören zu dieser Stadt wie jeder andere auch. Und dass seit fast 1700 Jahre, wie Helge David Gilberg vom Verein 321-2021 erzählt. Im übernächsten Jahr werden 1700 Jahre jüdische Geschichte in Köln gefeiert: „Da gab es noch keinen Dom, aber wir hatten schon eine Synagoge.“ Er bittet die Jecken: „Lasst nicht zu, dass Nazis die Oberhand kriegen.“

Die Zeit der Reden sei vorbei, mahnt Dr. Werner Jung vom NS Dokumentationszentrum und lädt dazu ein, sich über die verschiedenen Bildungsangebote seines Hauses zu informieren. Entweder direkt im Tanzbrunnen oder nach dem 11.11. „Wir lassen es nicht zu, dass nochmals so eine Barberei passiert.“

Bei uns sin Minsche einfach Minsche 

Auch die Künstler, die beim Grossen Kölschen Countdown auftreten, setzen ein Zeichen: Eigens haben sie ein Video gedreht, das über die Großleinwände läuft, und rufen mit einem Song auf, gegen die rechten Idioten aufzustehen: „Bei uns sin Minsche einfach Minsche, all sin glich, so läuf dat he!“

Dieses Zeichen kommt bei den Jecken an.„Wir brauchen keine Schweigeminute, wir brauchen eine Aktion“ meint Linus und fordert alle auf, gegen Rechte Gewalt und Antisemitismus eine Minute lang zu klatschen. Ein Tosen geht durch den Tanzbrunnen. So sind die Bläck Fööss wohl selten begrüßt worden. Und sie geben direkt die musikalische Antwort auf die Aktion: Mit dem „Stammbaum“.

Und dann? Dann ist wieder Fastelovend und es wird weiter gefeiert. Gut so! Aber hoffentlich hat sich eines verfestigt: Dass Vielfalt und Toleranz zur kölschen DNA gehören wie OB Henriette Reker an diesem Tag mehrfach betont. Und dass auch an anderen Stellen im Fastelovend Zivilcourage gezeigt werde. Denn wie die Paveier singen: „Jo mir all sin Minsche unsrer Stadt, … mir all sin he en Kölle ze Hus.“ Unabhängig von Religion, Hautfarbe, sexueller Orientierung …