St. Agnes: Sing mich noh Hus (Brigitte)

Montag Abend im Agnesviertel. Viele Jecken sind unterwegs, denn es ist Fastelovendsgottesdienst in St. Agnes. Ein ungewöhnlicher Gottesdienst mit kölscher Musik zum Mitsingen und Schunkeln und mit besinnlichen Texten. Pastoralreferent Peter Otten, einer der Organisatoren, ist sichtlich nervös und blickt dauernd auf sein Handy. Es ist das erste Mal ohne Coronaauflagen, die Kirche ist brechend voll und alles wird in die Welt gestreamt.

Ein volles Gotteshaus

Es ist der dritte Gottesdienst dieser Art. Während der Corona-Pandemie, als die Jecken keinen Karneval feiern durften, aber des Trosts und der positiven Energie bedurften, hatte Peter Otten die Idee zu einem Fastelovendsgottesdienst. „Das war anstrengend, wir mussten alle auf markierten Plätzen sitzen und dennoch war es einfach toll“, erinnert sich Eva Oreal, eine der vielen freiwilligen Helfer und Helferinnen. „Es ging los mit ‚Jo, jo, jo, mer sin immer noch do, do, do“, das war unheimlich berührend! Im nächsten Jahr haben wir dann gedacht, dass wir es unbedingt wiederholen sollten und der Gottesdienst wurde erstmals übertragen. Alle Künstler treten hier unentgeltlich auf und jedes Jahr hält jemand anders die Predigt!“

Prominte Künstler

Die Künstler sind vorne zu sehen: Die Kölner Ratsbläser, Stephan Brings, Stefan Knittler mit Simon Bay und Organist Matthias Bartsch sind da wie immer, Basti Campermann, Flo Peil und Ina Schwiers, die drei von Kasalla, machen das erste Mal mit wie auch Nici Kempermann und Phil Schöpe von Kempes Feinest und die kompletten Höhner. Viel Prominenz. Im Publikum sitzt Ludwig Sebus, der die Predigt halten wird.

In der Sakristei arbeitet das Technikteam auf Hochtouren, das für den Videostream zuständig ist. Mittlerweile ist die Kirche absolut voll, es gibt keine Sitzplätze mehr und auch die Kerzen (s.u.) reichen nicht für alle Besucher. So bunt ist es selten in der Kirche. Eine jecke Kopfbedeckung ist das mindeste, was die Menschen tragen, aber viele Jecken sind auch richtig toll verkleidet.

Hoffnung und Trost spenden

Jetzt bin ich gespannt. Ich habe schon so manche kölsche Messe, auch in Karnevalszeiten besucht, aber was ist ein Mitsinggottesdienst? So steht es zumindest auf dem Liederzettel, der an alle Besucher verteilt wurde. Schnell ist zu spüren, das hier in St. Agnes ist ein anderer, ein ungewöhnlicher Gottesdienst. Einer, der angesichts der schwierigen Zeiten, in denen wir leben, Trost, Zuspruch und Hoffnung geben möchte und es auch tut. Der die lebensbejahenden Werte des Fastelovends nutzt, um den Menschen eine kleine Auszeit von ihren Sorgen zu geben. Mit Liedern und mit Worten, die von Pastoralreferent Peter Otten und „Loss mer singe„-Gründer Georg Hinz – sie organisieren zusammen mit Klaus Nellesen den Gottesdienst – ausgesucht wurden bzw. gesprochen werden. Wieder einmal zeigt sich, dass unser kölsches Liedgut viel mehr als bloße Karnevalsmusik is. „An dä Sorje schunkele mer schon nit vörbei“, wie die Höhner bereits 1991 während des Golfkriegs in ihrem Song „Kumm, loss mer fiere“ gesungen haben.

Eindrucksvoll die Predigt, die Ludwig Sebus mit seinen 98 Jahren hält. Er erzählt von seiner Geschichte, seinen Erlebnissen im Krieg und erinnert an die Freiheit, die wir heute haben, das zu sagen, was wir denken, das zu tun, was wir wollen. Eine Mahnung an uns alle! Es gibt stehende Ovationen für den Grand Seigneur der kölschen Musikszene, der mit Überzeugung singen kann „Ich däht et alles su widder dun!“

Kerzen sind zu Beginn des Gottesdienstes ausgeteilt worden, die jetzt angezündet und während der Meditation zum Totengedenken durch Pfarrer Thomas Frings nach vorne zur Statue der Agnes gebracht werden. Eine Menschenschlange, die nicht aufzuhören scheint. Am Ende ein Kerzenmeer, das die Kirche erstrahlt.

Dann liest Peter Otten aus den Fürbitten vor, die Menschen per WhatsApp an ihn geschickt haben. Es wird gebetet für den Weltfrieden, die Opfer des Erdbebens wie für persönliche Schicksale.

Frieden ist in den Zeiten, in denen die Bilder und Nachrichten aus der Ukraine auf uns allen lasten, immer wieder Thema. Stephan Brings erhält von seinen Zeiten als Zivildienstleistender und singt „Liebe gewinnt“: „Wir werden frei, wenn wir uns lieben, es wird vorbei sein, mit all den Kriegen …“ Als zweites Lied hat ein ein Stück von Hannes Wader (nach dem Original von Eric Bogle „No man‘ s war“) gewählt, dass von einem 19-jährigen gefallenen Soldaten in der Champagne erzählt.

Tröstlich dann das Loss-mer-singe-Siegerlied von Kasalla „Sing mich noch Hus, mach et wärm en der Bruss …“

Frieden gibt es nur, wenn wir tolerant sind und dazu passt ein kölsches Lied, meint Stefan Knittler und singt mit der ganzen Gemeinde: „Unsere Stammbaum“ (von den Bläck Fööss) und mittendrin:“Imagine all the people. Living life in peace“ von John Lennon.

Zwei Stunden sind vorbei, als Peter Otten all die Menschen aufzählt, die diesen Gottesdienst möglich gemacht haben. Und um eine Spende bittet, damit wenigstens das Technikteam entlohnt werden kann. Ein letztes Lied spielt Stefan Knittler: „En uns’rem Veedel“. Die Menschen haben sich untergehakt und singen laut mit.

Ein gelungener Abend

Jetzt ist Schluss und viele schauen sich noch das Kerzenmeer an. Vor dem Altar hat die Kölner Künstlerin Christiane Rath ihr überdimensionales „Menschennest“ aufgestellt. Es steht für das Gefühl von Heimat. Denn „was wäre Köln ohne Karneval? Was wäre der Karneval ohne seine Lieder?“, so Pastoralreferent Peter Otten. Recht hat er. Es ist ein schönes Gefühl und ich gehe gestärkt, getröstet, gut gelaunt nach Hause. Wäre Kirche doch immer so.

Bildnachweis: Alle Fotos @BKB