Interview J. Zöller: Brauchtumspflege heißt Wandel

Wenn jemand die Tradition im Kölner Karneval kennt, dann ist es die „Die Grosse von 1823“, die „Mutter aller Karnevalsgesellschaften“. Aus ihr ging 1823 das „Festordnende Comite“ hervor, das der Zügellosigkeit auf den Straßen etwas entgegensetzen wollte. Mit ihrem Präsidenten, Professor Joachim Zöller, sprachen wir darüber, wie Modernisierung und Brauchtumspflege Hand in Hand gehen können.Das Jecke BKB Trio

 

 

TRADITION IST KEIN STARRES GEBILDE!

Zur Tradition gehört die Weitergabe von Gepflogenheiten, Konventionen, Bräuchen oder Sitten, aber sie kann nicht nur, sie muss sich den veränderten Lebensbedingungen und Ge­sell­schaftsformen stellen. Nur dadurch kann auf Dauer eine Tradition überhaupt überleben, erklärt Joachim Zöller. Wie das geht, zeigt „Die Grosse von 1823“ seit vielen Jahren.

Wie kann man die Jugend an den Karneval heranzuführen?

Wenn man sich die Entwicklung des Kölner Karneval in den letzten 20 Jahren anschaue, so Professor Zöller, sei eine Zunahme des Partykarnevals zu beobachten. Dem müsse man sich stellen. Dabei gelte es, die Traditionen zu bewahren und gleichzeitig die Jugend an den Karneval heranzuführen. Das bedeutet für ihn, die Jugendlichen dort abzuholen, wo sie sich gerne aufhalten – auf der Feiermeile Zülpicher Straße –, und mit ihnen gemeinsam Karneval zu feiern. So hat „Die Grosse von 1823“ mit „Open(R)ing“ an Weiberfastnacht ein Alternativangebot für junge Jecken auf die Beine gestellt, mit einer Bühne am Hohenstaufenring, zwei kleineren Bühnen und einem offenen kostenlosen Festgelände. Hier wurde gefeiert, es traten kölsche Nachwuchsbands auf und es gab eine Moderation. Wegen des Dauerregens konnte das Konzept nicht wirklich getestet werden (immerhin waren hier mehr Jugendliche als auf den Uniwiesen) und sie hoffen auf eine Wiederholung am nächsten 11.11.

Sessionseröffnung 11.11.2024

Der kölsche Countdown

Schon einmal hat „Die Grosse von 1823“ einen solchen Schritt gewagt: Nachdem die Altstadt am 11.11. immer voller und die Klagen über die Auswüchse immer lauter wurden, hat sie 2013 mit dem Kölschen Countdown auf der Schäl Sick im Tanzbrunnen eine neue familienfreundliche Veranstaltung im Tanzbrunnen ins Leben gerufen, die in diesem Jahr erfolgreich ihr elfjähriges Jubiläum feiert.

Lösungsangebote

Zu den Veränderungen im Kölner Karneval gehört auch die starke Zunahme der Sitzungsangebote verbunden mit enormen Preissteigerungen. Dies stellt vor allem kleinere Karnevalsgesellschaften vor Probleme, die für ihre Sitzungen nicht die Topbands engagieren können und dadurch an Besucherzuspruch und in der Folge an Einnahmen verlieren. Joachim Zöller schlägt eine Sitzungsbörse des Festkomitees vor und zeigt mit seiner KG, wie das funktioniert. Zwei Gesellschaften veranstalten eine Sitzung, das Kartenkontingent wird entsprechend der Größe der Partners aufgeteilt und ggf. neu verteilt, die Veranstaltung wird aber von beiden Präsidenten mit einem gemischten Elferrat geleitet. So kann das Risiko für die kleineren Gesellschaften minimiert werden.

Ein viel beachtetes Zeichen setzte „Die Grosse von 1823“ zudem 2021: Seitdem ist sie keine reine Herrengesellschaft mehr – ein Paukenschlag für viele Karnevalisten –, alle Menschen ab einem Alter von 16 Jahren können ordentliches Mitglied werden. So passt sich „Die Grosse von 1823“ auch im Alter von über 200 Jahren mit immer neuen Ideen dem gesellschaftlichen Wandel im Kölner Karneval an und versucht, das „Feuer“ an die nächste Generation weiterzugeben.

Prof. Zöller

Bildnachweis: Fotos©N.N.