Die Kölner Tanzgruppen im Dilemma (Der Wilfried)

Zeiten wandeln sich. Gab es vor 25 Jahren zwei Handvoll Tanzgruppen, gibt es jetzt über 40 Gruppierungen. Und alle wollen auf der Bühne stehen, um dem Publikum das zu zeigen, was sie können und gelernt haben. Aber die Anzahl der Auftritte hat sich nicht vermehrt. Das heißt, alle Tanzgruppen, die momentan aktiv sind, kämpfen um diese Plätze. Und das ist ein Hauen und ein Stechen, was da gerade abgeht. Das bleibt nicht im Verborgenen, gerade wenn altgediente Tanzgruppen am Existenzminimum herumtanzen. Sogar das Festkomitee schaltete sich im letzten Jahr durch das Motto ein und ließ alle TG im Rosenmontagszug mitgehen. Aber warum ist das so und weshalb ist es so gekommen?

Wilfried Wiltschek

Lange bin ich schwanger damit gelaufen, ob ich so einen Beitrag schreiben soll. Aber es brennt mir in meinem karnevalistischen Herz. Zur Erklärung meiner Person. Mein Name ist Wilfried Wiltschek, ehemaliger Tänzer und Tanzgruppenleiter einer Tanzgruppe im Kölner Karneval und seit 15 Jahren in meinem Beruf als Physio für das Festkomitee tätig, um verletzten Tänzern wieder auf die Bühne zu helfen. Ich bin seit 25 Jahren also Insider in diesem Bereich und habe Höhen und Tiefen der Tanzsparte aus der ersten Reihe miterlebt.

Brauchtum weitergeben

Mittlerweile schmückt sich jede Gesellschaft mit einer tanzenden Einheit. Ist auch nicht falsch. Sogar richtig. Die Jugend an den Karneval heranführen, langsam und sensibel. Und die Jugend an den Karneval binden, bevor dieser überaltert. Nur durch junge Leute kommt ein neuer Wind und Weiterentwicklung. Dies ist ein großer Punkt. Es gibt Tanzgruppen, die meinen, den Slogan leben zu müssen: „Es war so. Es ist so. Und es wird immer so bleiben.“ Falsch! Hier gehören Zeitgeist, Erneuerungen, offene Augen und Ohren hin, ohne aber die traditionellen Grundpfeiler der eigenen Tanzgruppe außer Acht zu lassen.

 

Neue Ideen

Tanzgruppen, die dies nicht kapieren, sind dem Untergang geweiht. Verantwortliche, teils Jahrzehnte in Amt und Würden, müssen sich dringend hinterfragen, ob ihr Weg der Richtige ist. Neue Kräfte nach vorne, nicht karnevalsverbrannt, mit neuen Ideen, müssen hier ran, um was Neues aufzubauen, aber ohne die Tradition zu verlassen. Mit einer konsequenten Ausrichtung sowie mit einem super Hintergrundstab haben es zum Beispiel den Greesbergern ermöglicht, sich in den letzten Jahren ganz weit nach oben zu schießen.

 

Eisenharte Arbeit, eine gelungene PR und ein vorhandenes WIR-Gefühl ermöglichen es den Höppies, den Kammerkätzchen, der Luftflotte und den Rheinveilchen ihre Spitzenpositionen inne zu behalten und genug Auftritte an Land zu ziehen. Ganz wichtig ist für mich auch, ausgeschiedene Tänzer und Tänzerinnen an den Verein zu binden. Nicht zum Feiern, sondern um deren langjährige Beziehungen zu Verantwortlichen im Karneval zu nutzen und zu pflegen, um hier weiterzukommen. Aber dazu muss man deligieren können, abgeben können und das können viele nicht. Freunde und Förderer von früheren Zeiten sind nicht mehr da oder nicht mehr in den verantwortlichen Positionen.

 

Hand in Hand

Und der Satz „Et hätt jo noch immer jot jejange“ zählt hier nicht mehr. Ist das Kind einmal in den Brunnen gefallen, bekommt man es sehr schwer wieder raus. Ganz wichtig ist eine Hauptgesellschaft im Hintergrund. Luftflotte, Kammerkätzchen, Uhus, Rheinveilchen, Greesberger, Kölsch Hännes`chen und viele mehr haben so eine schützende Hand hinter sich, die zugegebenermaßen viel fordert, aber auch viel gibt, was zum Überleben wichtig ist.

Hat man diese Hauptgesellschaft nicht, wird es verdammt schwer zu überleben. Die Höppies haben sich von ihrer Gesellschaft als e.V getrennt, schweben aber durch hervorragende Leistung und durch eine tolle Agenturanbindung auf einer Erfolgswelle. Die Zunftmüüs gehen durch konsequente PR-Arbeit, aktuelle Bezüge und Beziehungen auch mittlerweile wieder steilauf.

Die Talentschmieden sind die kleinen Tanzgruppen und die Kinder- und Jugendtanzgruppen. Was hier an Arbeit geleistet wird, nur als Beispiel die Husarenpänz oder die Heinzelmännchen, da kann man nur den Hut ziehen, Chapeau !

Oftmals kommen Tänzer und Tänzerinnen hierher zurück, weil es eine Art von Karnevalsheimat geworden ist. Und -Ding Heimat verjisst man nit- ! Bindet solche Leute ein und stosst sie nicht weg. Diese Menschen können Euch so viel Erfahrungen weitergeben und sie wollen es auch.

Sind die Top TGs denn besser im Tanzen als die anderen mit ihren wenigen Auftritten? Nein, ganz entschieden nein. Aber unsere Tänzer sind auch alle – positiv geschrieben – rampengeil. Und wenn viele die Möglichkeit haben, in TGs zu tanzen mit über 75 Auftritten in der Session, bemüht man sich dahin zu gehen. Die Menge der Auftritte verschafft trotz manchem Lagerkoller auch ein fantastisches Wir-halten-Zusammen-Gefühl, welches nicht aufdoktriniert und gekünstelt wirkt. Von daher ist das Niveau schon bei den Top TGs höher und viele der neuen Tanzoffiziere oder Tanzmaries kommen aus eben diesen Gruppen. 

 

Es wird mehr verlangt

Das Publikum ist heute anderes. Wurde früher beim Ringelrein enthusiastisch geklatscht, flippen die Zuschauer heute bei Würfen quer über die Bühne komplett aus. Zeiten ändern sich. Größere Zelte und Bühnen ermöglichen so was, dass bis auf wenige Ausnahmen nur die kleinen Bühnen für die Bodentanzgruppen übrig bleiben. 

Eine Anmerkung in eigener Sache. Mir geht das Herz genauso auf, wenn ich die Helligen, die Uhus oder Kölsch Hännes`chen in ihrer Farbenpracht auf der Bühne sehe, wie es mir aufgeht, wenn die Top gebuchten Gruppen kommen! Lebensfreude junger Menschen verströmen sie alle. Aber zum Überleben ist ein vernünftiger Zeitgeist unbedingte Voraussetzung sowie eine Selbstreflektion der Verantwortlichen, ob man was ändern muss. Liebes Köln, es geht nicht, dass Tanzgruppen, damals mit fast 100 Auftritten, jetzt so den Bach runtergehen. Die Qualität ist die Gleiche geblieben, aber fehlt die Entwicklung? An die Herren oder Damen Literaten, geht das Risiko doch einfach ein und bucht die TGs wieder. Aber alles in allem stimmt das Publikum mit den Füßen ab. Was gefällt, bleibt.

Die Konsequenz des FK ist hier so zu begrüßen, nur noch Sitzungen zu besuchen, die mindestens eine Tanzgruppe im Programm haben. Man macht sich schon Sorgen so als alter Hase. Bei vielen Besuchen bei TGs lerne ich die unbändige Lebensfreude der jungen Menschen kennen, die dann auf der Bühne kanalisiert wird. Das ist soo schön! Das ist soo herrlich! Das ist soo schön kölsch! Dat ist Köln!

Der Wilfried mit einem lachenden und mit einem weinenden Auge

Bildnachweis: Fotos Joachim Badura und BKB Verlag