Wie fühlt sich Karneval an? (Red.)

Weiberfastnacht! Anders als noch vor Wochen gedacht ist nach zwei Jahren Pandemie wenigstens ein bisschen Fastelovend möglich. Auf der Straße, in den Kneipen und auch in den Sälen. Es gibt strenge Regeln, aber das ist gut so. Die Karnevalsgesellschaften haben alles dafür getan, dass das Brauchtum gefeiert werden kann. Und dann greift Putin die Ukraine an.

Weiberfastnacht, 9.11 Uhr –  die Nippeser Bürgerwehr eröffnet als erste den Straßenkarneval auf dem Wilhelmplatz in Nippes. Traditionell für uns der erste Termin an Weiberfastnacht. Aber noch während ich mich anziehe, kommt es durch die Nachrichten: Russische Soldaten greifen von mehreren Seiten die Ukraine an. Krieg liegt in der Luft. Kann man, kann ich Karneval feiern? Ich weiß es nicht.

 

Kurz vor neun, Wilhelmplatz. Die Eröffnung des Straßenkarneval ist perfekt organisiert. 1.111 Tickets durften verkauft werden. Es gibt strenge Einlasskontrollen mit Impfnachweis und Personalausweis. Und gleich geht’s los. Befreundete Gesellschaften sind gekommen, die KG Frohsinn und die Damengarde tummeln sich vor dem VIP-Zelt. Alles ist coronakonform.

 

 

Deswegen wirkt die Bühne leider genauso leer wie der Platz. Sonst beginnt der Straßenkarneval stets mit dem Aufmarsch des Korps der Appelsinefunke, das ein wunderschönes oranges Stimmungsbild auf der Bühne. Wenn die ersten Takte von „Loß mer jet durch Neppes jon“ ertönen, weiß man, es geht los. Das fehlt. Genau wie die Sonne.

 

 

Heute sind nur Kommandant Mario Moersch, Präsident Michael Gerhold, das Tanzpaar und Bezirksbürgermeisterin Dr. Diana Siebert bei der traditionellen Übergabe der Stadtschlüssel oben.

 

 

Es wird das erste Mal emotional, denn Stina Pohl tanzt ihren letzten Mariechentanz. Nach acht Jahren auf der Bühne beendet sie ihre Karriere als Tanzmarie. Kommandant Mario Morsch ernennt sie noch schnell zum Hauptmann, das sei wegen der großen Emotionalität beim Korpsappell untergegangen.

 

 

Dann zieht das Dreigestirn mit seiner verkleinerten Equipe auf und sie werden mit Jubel begrüßt. Immerhin ist Bauer Gereon ein Nippeser Jung! Jungfrau Gerdemie wendet sich an die Nippeser Mädcher, doch die Antwort scheint nicht so laut, nicht so freudig wie sonst.

 

 

Vielleicht liegt es an der begrenzten Zahl an Zuschauern auf dem Platz, vielleicht an den ersten Regentropfen. Mit ihrem wunderschönen Lied „All dat Laache, all dat Singe“ singen sich Prinz, Bauer und Jungfrau schließlich doch in die Herzen der Jecken. Die nehmen sich in den Arm und schunkeln das erste Mal so richtig.

 

 

Danach richten Clara Scheurer, Tanzmarie des Treuen Husar, und Regimentstochter Sandra Wüst von der Prinzen-Garde noch ein paar Worte an Stina und es fließen Tränen. In den acht Jahren als Marie der Bürgerwehr sind Freundschaften geschlossen worden und der Abschied tut weh! Karneval ist eben eine große Familie.

 

 

Der Platz wird langsam voller. Schöne Kostüme sind dabei wie das Friedensmariechen. Gruppenfotos werden gemacht, die Social Media-Kanäle wollen schließlich bedient werden.

 

 

Und wer kein Ticker bekommen hat, kann trotzdem hinten auf der Viersener Straße noch ein bisschen Fastelovendstimmung mitbekommen. Viele Jecken sind es nicht.

 

 

Natürlich bleibt der Krieg in der Ukraine nicht unerwähnt. Präsident Michael Gerhold greift das Thema auf und fragt das, was wohl viele Menschen bewegt: „Darf man trotzdem Karneval feiern?“ Man darf, denn Karneval ist für ihn traditionell das friedliche Brauchtumsfest.

Dann kommt der grandiose JP Weber auf die Bühne und der ein oder andere wird sich zunächst gefragt haben, ob der Mann mit der Flitsch für einen so großen Platz geeignet ist. Die Antwort vorweg: Er ist es!

 

 

Als er das Veedelslied anstimmt und der ganze Platz mitsingt, kommt endlich so richtige Fastelovendstimmung auf. Für einen Moment scheinen Corona und Krieg vergessen. Und JP Weber erinnert daran, dass die Nippeser Bürgerwehr vor zwei Jahren den Büttenredner Karl Küpper geehrt hat, der 1939 die Tucholsky-Rede gehalten hat  – „Erwache Deutschland“, als Göbbels im Saal war. Bis heute ein Karnevalshit – „Heidwitzka, Herr Kapitän“, das Karl Berbuer 1937 als Antwort auf die vermaledeiten Nazis geschrieben hat. „All das kann Kölle!“ Und JP Weber ist stolz darauf ein Teil dieser Stadt zu sein. Und er singt weiter, der Platz singt mit.

 

 

Warmherziger kann man Wieverfastelovend nicht erleben, meint Michael Gerhold nachher und das beschreibt es.

 

 

Dann kommen die Rabaue und die Party beginnt. Kontrastprogramm, aber den Jecken scheint das nichts auszumachen. Genauso wenig wie die ersten Regenschauer.

 

 

Regenschirme werden aufgespannt und der Tanz geht weiter. „Witzjer brenge, Liedscher senge, danze, sprenge, dat es Karneval. Öm der bläcke Hals en jroße Fleech und en Pappnas em Jeseech, drej Daach sech freue, nix bereue, dat es Karneval …“

 

 

Auf dem Handy ploppen derweil kurz hintereinander die Nachrichten von ersten Toten und der Aktivierung des Krisenmodus der NATO auf. Wir alle wollen unseren Fastelovend feiern; zumal nach zwei bedrückenden Corona-Jahren. Hoffen wir, dass es nicht ein „Tanz auf dem Vulkan“ wird. Wir gehen nach Hause!

Bildnachweis: Alle Fotos © BKB Verlag