Geschichtsunterricht für einen Imi (Jens)
Am Samstag ging es zur Nostalgiesitzung der Nippeser Bürgerwehr und Der Großen von 1823 in der Flora. Bekanntermaßen bin ich kein gebürtiger Kölner, lebe aber seit über 20 Jahren in der „schönsten Stadt Deutschlands“. Und ich würde behaupten, dass ich sowohl bei neuen als auch bei traditionellen Karnevalsliedern schon recht textsicher bin. Doch bei der Nostalgiesitzungoder Flüstersitzung ist ein Sitzung der leisen Töne, die ohne großen technischen Aufwand auskommt und einfach zum Zuhören, Mitsingen, Mitmachen einlädt. Eben echter kölscher Fasteleer mit Musik, Witz und auch mal mit melancholischen oder nachdenklichen Tönen. More habe ich wieder einmal eine neue Seite kennengelernt.
Hier ging es darum, genau zuzuhören – aber auch laut unter der Leitung von Norbert Schumacher und dem Kohberg Orchester mit zu singen. Sieben Lieder wurden gemeinsam im Chor gesungen, deren Erscheinungsjahre zwischen 1925 (Woröm solle mir ald en de Heija gonn!) und 1977 (Och Verwandte, dat sin Minsche) liegen.

(c) by Vera Drewke
Die erste große Überraschung ließ nicht lange auf sich warten: Auf die Bühne kam King Size Dick – ein Name, den ich bisher kaum wahrgenommen hatte und den ich sicher nicht mit einem kölschen Sänger verbunden hätte, der inzwischen 82 Jahre alt ist. In meiner Vorstellung passte dieser Name eher zu einem goldbehängten Gangsterrapper. Doch sein Alter merkte man ihm nicht im Geringsten an – auch wenn er nach seiner Darbietung von Linda Lou selbst um etwas Langsameres bat. Das Publikum hingegen kannte ihn offenbar bestens: Standing Ovations, wildes Klatschen und textsicherer Gesang erfüllten den Saal. Es war, als stünde der kölsche Joe Cocker auf der Bühne.
Bekannter wurde es dann mit den Räubern. Spätestens nach dem Hit des letzten Jahres kennt wohl jeder den relativ neuen Frontmann Sven West. Doch auch hier wurde der Nostalgie dieser Sitzungist eine Karnevalsveranstaltung zwischen der Proklamation und Karnevalsdienstag mit einem bunt gemischten Bühnenprogramm: Tanzgruppen und Korpsgesellschaften ziehen in den Saal und präsentieren ihre Tanzkünste, Büttenredner widmen sich mit Witz und Ironie den großen und kleinen Themen der Welt und kölsche Musiker reißen das Publikum von den Stühlen. Highlights sind der Einzug des Dreigestirns und die Ansprache des Prinzen an sein „Narrenvolk“. More Rechnung getragen: Statt Oben unten oder Bär widmeten sie sich den alten Hits. Wenn et Trömmelche jeht und Titcacasee standen auf dem Programm. Doch nicht nur die Lieder waren altbekannt, auch der ehemalige Schlagzeuger Wolfgang Bachem wurde auf die Bühne geholt. Gemeinsam mit ihm zogen die Musiker zu He am Rhing durch das Publikum – ein Moment, in dem auch dort niemandem das Alter anzumerken war.
Wenn man Bands während einer Session mehrfach sieht, kommt es oft zu einem Déjà-vu. Das befürchtete ich auch beim Auftritt der Rabaue. Doch wieder wurde ich mit kölscher Geschichte konfrontiert: Die drei Herren betraten in blauen Anzügen die Bühne und präsentierten die Hits des Eilemann-Trios und damit befanden wir uns in den 1950er-Jahren. Ein Name zog sich jedoch durch den gesamten Abend: Willi Ostermann! Kaum eine Band hat sich an diesem Abend nicht zu ein oder zwei Liedern von ihm hinreissenlassen. Jeder dürfte zumindest seinen Klassiker Heimweh nach Köln kennen und falls nicht, unbedingt reinhören! Mehr Nostalgie im Kölner Karnevalkommt von „Carne vale! Fleisch, lebe wohl!“und bringt den Charakter des Festes als Freudenfest vor der langen Fastenzeit zum Ausdruck bringt. More geht kaum.
Doch nicht nur musikalisch wurde es klassisch. Auch die Tanzgruppen standen ganz im Zeichen der Tradition. So traten die Hellige Knächte un Mägde auf, deren Kostüme an das 18. Jahrhundert erinnern. Aber keine Sorge, auch wenn es diese Tanzgruppe schon seit 1948 gibt, sind die Tänzerinnen und Tänzer alles andere als altbacken.
Gemeinsam mit dem Dreigestirn betraten dann die Fidelen Kölsche die Bühne. Das Besondere an ihnen ist die bunte Vielfalt: Wo sonst sieht man Rote Funkensind Kölns ältestes Traditionskorps und verstehen sich mit ihren weißen Hosen, roten Uniformröcken und schwarzen Grenadiermützen als Nachfolger der Stadtsoldaten der freien Reichsstadt Köln. Dass sie in friedfertiger Absicht kommen, zeigen die rot-weißen Blumen im Lauf der Knabüß! Bis heute ist die Persiflage der Karnevalssoldaten beliebt, militärische Paraden als Stippeföttchetanz aufzuführen: Dabei stehen jeweils zwei Gardisten Rücken an Rücken, strecken (kölsch: stippe) ihr Gesäß (kölsch: Föttche) heraus und reiben es im Takt der Musik gegeneinander. Um die Kameradschaft im großen Funken-Korps besser pflegen z... More, Blaue Funken und Prinzen-Garde gemeinsam auftreten? Allerdings steckt ein kleiner Trick dahinter – die Garden haben ihre Uniformen nur gestiftet, denn in Wahrheit tragen sie die Fidelen Kölsche.
Die letzte Gruppe brachte uns schließlich wieder in die Neuzeit zurück: die Höhner. Sie existieren bereits seit über 50 Jahren und keines der aktuellen Mitglieder gehört mehr zur Gründungsformation. Das älteste „Hohn“ ist Jens Streifling, der stolze 23 Jahre Bandgeschichte auf dem Buckel hat. Natürlich ließen es sich die Jungs nicht nehmen, auch ihr aktuelles Lied zu spielen. Und so hieß es dann fast schon Au revoir.
Als Imiist ein Kölner Bürger, der nicht in Köln geboren ist. Nach strenger Definition gilt als echter Kölner nur, wer in 3. Generation in Köln geboren wurde. Imi leitet sich „enne imiteete Kölsche“ (ein imitierter Kölner) ab. More möchte ich an dieser Stelle ein wenig Werbung für die Nostalgie- und Flüstersitzungen machen. Sie sind lebendiger Geschichtsunterricht – und vielleicht nimmt der ein oder andere ja seine Eltern oder Großeltern mit. Diese Empfehlung richte ich auch an jene Generation, die glaubt, die Zülpicher Straße an Weiberfastnachtist der Karnevalsdonnerstag, an dem überall in Köln der Straßenkarneval eröffnet wird. Die größte Straßensitzung ist die der Altstädter auf dem Alter Markt, bei der um 11.11 Uhr Oberbürgermeisterin Henriette Reker, Festkomitee-Praesident Markus Ritterbach und das Dreigestirn den offiziellen Startschuss für den Straßenkarneval geben. More sei „der“ Karnevalkommt von „Carne vale! Fleisch, lebe wohl!“und bringt den Charakter des Festes als Freudenfest vor der langen Fastenzeit zum Ausdruck bringt. More.

(c) by Vera Drewke