Die Persiflagewagen des Rosenmontagszugs 2023 (Ulla)

Anlässlich des 200-jährigen Bestehens des Festkomitees Kölner Karneval wird der Rosenmontagszug auf der rechten Rheinseite starten. Er wird über die Deutzer Brücke in die linksrheinisch gelegene Innenstadt ziehen und schlussendlich an der Severinstorburg enden. Dazu wurden die 23 Persiflagenwagen des Rosenmontagszuges in einer Nacht- und Nebelaktion auf die rechtsrheinische Seite gebracht und in der Messehalle 9 untergestellt. Anders als in der Wagenhalle am Maarweg konnten anlässlich des Richtfestes die einzelnen Wagen großzügig und rundum frei zugänglich präsentiert werden.

 

Veedelszoch 2023

Zugleiter Holger Kirsch und sein Team legen bei der Auswahl der Motive der Persiflagewagen Wert auf einen roten Faden. In diesem Jahr orientierte man sich an dem Jubiläum. Mit Mottos aus 200 Jahren Kölner Karneval werden aktuelle Themen aufgegriffen und karikiert.

Reine Kölner Regionalpolitik wird dabei lediglich mit einem Wagen angesprochen. Das Motto von 2008 „Jeschenke för Kölle, uns Kultur Kamelle“ wird auf den derzeit sehr umstrittenen Umgang bezogen, den die Kölner Stadtoberen mit den Auswüchsen der Feiernden zum Sessionsstart im „Kwatier Latäng“ auf der Zülpicher Straße pflegen. Die gern zu recht eigenwilligen Äußerungen neigende Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker wird hier in Erinnerung an ihre Bemerkung nach den Geschehnissen Silvester 2015 mit einem extrem langen Arm gezeigt. Mit „einer Armlänge Abstand“ möchte sie die als Präsent mit roter Schleife verpackte Zülpicher Straße zusammen mit der „Wilden Herde“ nach Düsseldorf verschenken: Un fott es dä Brasel.

Ein internes Problem der kölschen Jecken wird anlässlich des Jubiläums angesprochen. Als sich 1870 die Blauen Funken in Referenz an die Preußen von den Roten Funken abspalteten, waren die „Roten not amused“. Der Gedanke an zwei Funkenkorps im Rosenmontagszug war unvorstellbar, und so verwehrte man den „Blauen“ das Mitziehen. Doch in einem Husarenstück setzten sie sich an de Spetz vum Zoch, die sie bis heute unangefochten innehaben.

 

Ein nicht nur rein kölsches Problem, doch gerade in unserer Stadt als äußerst brennend empfunden, wird mit dem Wagen „Zokunf. Mer spingkse wat kütt“ (2013) thematisiert. Es wird eine mögliche Zukunft für die Repräsentanten der katholischen Kirche vorgestellt, in die sie dank ihrer Uneinsichtigkeit und Borniertheit geraten könnten. Eingesperrt in ein wackersteinernes Gefängnis schaut zwischen den Gittern die als „ärm‘ Sau“ dargestellte männliche Geistlichkeit hervor. Draußen steht vor ihr eine in Kardinalsornat gekleidete Frau mit blonden Zöpfen (Bärbelchen). Auf der Brust trägt sie statt dem Kreuz an goldener Kette das Venussymbol. Sie hält süffisant lächelnd mit der Rechten den Hirtenstab und in der Linken den Schlüssel zum Verlies.

Ebenfalls ein gesellschaftliches Problem spricht der Wagen „Der Gordische Knoten und seine Lösung“ (1841) an. Die sich in der Gesellschaft ausbreitende Haltung aus Griesgram und Muckertum ist zu einem schier unlöslichen Knoten verschlungen und kann nur durch den kölschen Jecken, der seinen „Fastelovend-Zabel“ schwingt, durchschlagen werden.

Mit fast kindlicher Freude zeigt der Wagen „Alte und neue Zeit“ (1828) das zurzeit viel diskutierte Thema der Diversität. Vor Staunen bekommt der Großvater über die Schneeskulptur seines Enkels den Mund nicht mehr zu. In ihr hat der Junior mit einfachen Mitteln alle drei Geschlechter – weiblich, männlich, divers – vereinigt.

„Mer losse d’r Dom verzälle“ (1980) geht auf die Energiekrise seit Beginn des russischen Angriffs 2022 auf die Ukraine ein. Der Dom steht im wahrsten Sinne des Wortes im Dunkeln. Umgeben von den schwach beleuchteten Häuschen der Altstadt versucht er die Stromstecker seiner Beleuchtung wieder zu verbinden.

Weitere innenpolitische Themen werden mit den Wagen „Die Prüfung“ (1827), „Mer jöcken um de Welt“ (1958), „Lasst Blumen sprechen“ (1957), „Aller Welt Aktienbörse“ (1839), „Laach doch ens, et weed widder wäde!“ (2004), „Hervorragende Leistungen großer Männer, Dichter und Componisten“ (1895), „Dat löstige Patentamp Kölle“ (1954), „Die Fahrt nach dem Monde“ (1826) angesprochen. Wobei sich gerade die jetzige „(H)Ampel-Koalition“ aus SPD, Grünen und FDP an ihrem realen Handeln und den greifbaren Ergebnissen messen lassen muss. So wird die Diskrepanz zu ihrem vollmundigen Auftreten zu Beginn ihrer Amtszeit deutlich herausgestellt. Ebenso wird das Erstarken rechtspopulistischer Politik mit „Zustände wie im alten Rom“ (1974) dargestellt. Mit diesen Wagen bekommen so manche Politiker „ihr Fett weg“ und erscheinen recht blass.

Die Weltpolitik wird mit den Wagen „Das Turnier“ (1840), „Hereinspaziert, hereinspaziert – Zur größten Schau der Welt“ (1990), „Trump 2024“, „Verkörperte Zitate“ (1911) und „1871, 1914-1918, 1939-1945, 1991, 2022“ thematisiert. Es werden Korruption und Machtmissbrauch, die die Welt erschüttern, gezeigt. Das Erschreckende ist, dass nur einige wenige Personen die Protagonisten dieser Dramen und Tragödien sind. Besonders ins Visier genommen werden jetzige und ehemalige Machthaber Russlands, Chinas und Amerikas, aber auch „Privatpersonen“ wie Elon Musk und FIFA-Chef Sepp Blatter.

Anlässlich des 200-jährigen Jubiläums des Festkomitees Kölner Karnevals wurden drei weitere Wagen neu gebaut. Der Wagen „Thronbesteigung des Helden Carneval“, der Wagen des Zugleiters und der Jubiläumswagen. Dieser ist wie ein bonbonfarbener Kindergeburtstag gestaltet. Was so verspielt wirkt, ist jedoch mit viel Technik ausgestattet. Die sich drehende zweistöckige Geburtstagstorte zeigt auf Displays die „Geburtstagskinder“: Festkomitee, die Große von 1823, Hellige Knäächte un Mägde und die Roten Funken. Ein weiteres großes Display zeigt das Motto der Session. Mit dieser Technik können Beschriftungen variiert werden und der Wagen ist vielfach nutzbar.

Von ganz besonderem Reiz sind die neuen Großfiguren. Nicht nur, dass sie viel leichter und graziler als die Alten aus Pappmache gefertigt sind, nein, sie sind auch beweglich und wirken dadurch fast lebendig. Das Grundgerüst von Korpus und den einzelnen Gliedmaßen wird von leichtem Stoff umhüllt. Wie in einem Baukastensystem wird die Figur aus Kopf, Körper, Armen und Beinen zusammengesetzt und in einem Tragegestell dem Träger umgeschnallt. Dabei beginnt der Puppenkörper erst oberhalb des Kopfes seines Trägers, sodass dieser freie Sicht und mehr Bewegungsfreiheit hat. Mit Stöcken können die Arme bewegt werden und die frei herabhängenden Beine folgen dem Gang der Träger.

Holger Kirsch, die Kritzelköpp und die Wagenbauer haben mit diesen 23 Wagen und dem noch geheimen Persiflagewagen Köln und den Jecken ein wunderbares Jubiläumsgeschenk gemacht. Jetzt bleibt nur zu hoffen, dass mit dem Segen von Pfarrer Otmar Baumberger und Monsignore Robert Kleine der Zoch und alle Teilnehmer gut und sicher durch Kölns Straßen ziehen werden.

Fotos: Dr. Ulla Weber-Woelk (2, 4, 6, 7, 8, 12, 13, 14), Festkomitee Kölner Karneval/Belibasakis (1, 3, 5, 9, 10, 11)