Interview Ch. Kuckelkorn: Tradition ist Herausforderung

Für Christoph Kuckelkorn, Präsident des Festkomitees Kölner Karneval, ist der Fastelovend ein ganz wichtiger Teil seines Lebens. Er wurde sozusagen als Blauer Funk geboren und ist mit den Traditionen des Fastelovends aufgewachsen. Er tanzte in der Kindertanzgruppe, verabschiedete sich als Jugendlicher für einige Jahre vom Karneval, um dann umso mehr für ihn zu brennen. Er ist mit Leib und Seele Karnevalist, organisierte zwölf Jahre lang ehrenamtlich den Rosenmontagszug und leitet heute als Präsident das Team des Festkomitees.

Das Jecke BKB Trio

 

 

Wie steht es um die Tradition im Kölner Karneval, erreicht sie die Menschen noch?

Karneval ist ein Ankerfest im Jahreskreis, wie Weihnachten. In einer Gesellschaft, die sich ständig wandelt, in der jeden Tag alles infrage gestellt wird, sind solche Ankerfeste total wichtig. Denn sie folgen bestimmten Riten und geben damit Halt. Genau das tut der Karneval. Doch der Karneval ist und war nie statisch. Bis heute verändert er sich mit der Zeit und mit der Gesellschaft. Die Ansprüche werden andere, sodass man Positionen aufgeben, Riten infrage stellen, neue entwickeln und so mit der Zeit gehen muss. Für uns im Festkomitee ist es eine große Herausforderung, ständig abzuwägen, was bleibt und was verändert werden kann.

Das Feiern hat sich extrem verändert. Zum einen ist das Angebot an Veranstaltungen immens groß, zum anderen ist der Zugang zum Feiern durch die sozialen Medien einfacher geworden. Der Karneval kann sich gut behaupten, wenn er in seinem Fenster bleibt. Wir sind in der tristesten Zeit des Jahres und dann füllen wir diese Zeit auch komplett aus. Vom 11.11. bis Aschermittwoch ist unser angestammter Platz, den müssen wir verteidigen. Was unter dem Jahr passiert, hat mit Karneval nichts zu tun.

Was ist eigentlich Kölner Karneval?

Karneval ist dann, wenn der Karneval zeitlich stattfindet, wenn die Leute kostümiert kommen, wenn kölsche Musik und andere Attribute wie Dreigestirn, Redner, Tanzgruppen etc. zusammenfallen. Und eine Besonderheit ist das kölsche Lebensgefühl, das massiv vom Karneval geprägt ist. Seit Corona wissen wir, wie wichtig das Gemeinschaftserlebnis ist. Gemeinsames Singen, sich einhaken und schunkeln. Das ist in einer Zeit der Ausgrenzung von außen, der Abgrenzung und der Spaltung der Gesellschaft extrem wichtig. Das erleben die Menschen im Karneval, wenn sich die Stimmen verbinden und Euphorie und Glücksgefühle entstehen. Unser Liedgut und das Singen verbinden die Menschen und schaffen Identität in dieser Stadt.

Wie können die Menschen, die nicht mit dem Karneval aufgewachsen sind, an das Brauchtum herangeführt werden?

Junge Menschen, denen der Karneval von den Eltern vorgelebt wurde oder die durch eine Tanzgruppe karnevalistisch sozialisiert wurden, haben einen anderen Zugang zum Karneval als diejenigen, die erst durch Studium, Ausbildung oder Beruf nach Köln kommen. Für sie ist Karneval sicherlich erst einmal ein Event unter vielen.

Wie versuchen Sie, diese Menschen für den Fastelovend zu gewinnen?

Um diese Leute abzuholen, muss man jung denken. Ich muss mich in die Zielgruppe hineinversetzen und überlegen, was sind deren Bedürfnisse, was muss ich tun, damit der Karneval verstanden wird. Das haben beispielsweise die Blauen Funken mit der Clubparty im Bootshaus gemacht. Man könnte genau solche DJs an den Ring holen, die dann sicherlich nicht das machen, was wir als traditionellen Karneval empfinden. Aber man muss erst einmal die jungen Leute erreichen, Karneval muss interessant sein. In einem zweiten Schritt kann man dann versuchen, es ein bisschen karnevalesk zu machen. Und das kann ein Einstieg sein. Wer als junger Mensch diese Gemeinschaft, dieses verbindende Element des Fastelovends erlebt, wird später vielleicht als Mitglied einer Karnevalsgesellschaft weiter Karneval feiern.

Was gefährdet die Tradition des Kölner Karnevals?

Vor allem die ständig steigenden und oft nicht nachvollziehbaren Auflagen der Verwaltung, die von Jahr zu Jahr höher werden. Seit dem Unglück bei der Loveparade in Duisburg herrscht eine Mentalität der absoluten Risikominimierung. Dadurch ist das Brauchtum des ehrenamtlich organisierten Karnevals besonders in den Veedeln bedroht.

Was bedeutet das für den Karneval in der Stadt?

Das hat mehrere Konsequenzen. Jeder ausgefallene Veedelszug bringt mehr Move in die Innenstadt und steht unserem Konzept des dezentralen Feiern entgegen. Karneval muss für die Jecken auch bezahlbar sein und dafür braucht es niedrigschwellige Angebote. Wenn aber die Auflagen zu hoch sind, finden sich keine Veranstalter mehr. Das birgt die Gefahr, dass der Straßenkarneval nicht mehr kontrolliert wird und aus dem Ruder läuft. Außerdem fehlen zentrale Feierräume in der Stadt. Hier müsste die Stadt überlegen, wo sie Räume für die sich immer mehr entwickelnde Veranstaltungsszene schaffen kann. Und wo man vor allem jungen Menschen Refugien bieten kann, die sicheres Feiern mit sich bringen. Die Zülpicher Straße ist ein ganzjähriges Problem, kein Karnevalsproblem. Und sie zerstört nicht die Tradition des Kölner Karnevals.

Das Festkomitee hat kein Problem mit dem Partygeschehen?

Wir sind kein Missionswerk und wollen nicht alle bekehren. Wir wollen die Menschen davon überzeugen, dass es gut ist, sich ehrenamtlich im Karneval zu engagieren, aber wir haben nicht den Anspruch, die ganze Welt mit unserem Brauchtum zu überziehen. Vielleicht brauchen wir immer wieder solche Strömungen, die uns wach halten. Wenn wir nach links und rechts schauen, welche neuen Bedürfnisse entstehen, welche Menschen wir bisher nicht erreicht haben, dann stellt uns das immer wieder vor neue Herausforderungen. Wir müssen also ständig wachsam sein und versuchen, Neues zu entwickeln.

Bildnachweis: Foto Kuckelkorn im Ornat©Joachim Badura; alle anderen Fotos©BKB